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Şehîd

Dein Lächeln wird unvergesslich sein

Wir waren ungefähr 60 junge Frauen, die aus verschiedenen Orten aus Kurdistan und außerhalb Kurdistans in Rojava zusammen kamen für eine 3-tägige junge Frauen Bildung. Die Atmosphäre war sehr warm und aufregend – natürlich wo so viele junge Frauen zusammenkommen, entsteht eine unglaubliche Energie. Hevala Dîdar strahlte mit ihrem Lächeln. Dort sind wir uns zum ersten Mal begegnet, im Sommer 2018. Sie brachte sich mit voller Energie in die Diskussionen ein. Sie war sehr aufgeregt, da sie noch ganz frisch in Rojava angekommen war. Nach dieser Bildung haben wir uns alle in Rojava verteilt, um an den Arbeiten der Revolution teilzunehmen. Hevala Dîdar ging nach Serêkaniyê, um sich dort an den jungen Frauen Arbeiten zu beteiligen und innerhalb der Jugendbewegung die Vorbereitungen für die bevorstehenden Inversionsangriffe zu treffen. Weil wir alle an verschiedenen Orten waren, sahen wir uns für eine längere Zeit nicht…

Nach einigen Monaten trafen wir wieder aufeinander in einem kleinen Dorf in Rojava, wir waren beide sehr überrascht und sehr erfreut über das Wiedersehen. Dort sollten wir beide darauf warten, dass sich die Wege in die Berge öffnen. In die Hochburg der Gerîla. So waren unsere Gefühle voller Freude, Neugier und Enthusiasmus.

Wir haben knapp drei Wochen zusammen verbracht. In dieser Zeit hatte ich das Glück und die Möglichkeit sie von Näherem kennen zu lernen. Sie bereicherte das Leben in jeder Hinsicht. Sie übernahm in jeglicher Hinsicht Verantwortung und drückte sich vor keiner Aufgabe, damit das Leben kollektiv gestaltet wird. Sie ging alle Arbeiten mit einem revolutionären Bewusstsein an. Wir lasen gemeinsam das Buch „Nasıl katılmalı“ von Murat Karayılan und analysierten unsere Haltung in der Revolution. Was sie dabei so ausmachte, war dass sie ehrlich zu sich selbst und ihren Genossinnen war. Und dabei natürlich war. Sie hatte ihre Schwächen und Stärken gut erkannt und ihr war bewusst, dass der beste Ort, um daran zu arbeiten die freien Berge Kurdistan sind. Sie hatte den Mut sich mit ihren Problemen, ihren Lastern zu konfrontieren. Sie fürchtete sich nicht vor dem Schmerz, genauso wenig wie vor dem Kampf. Wir diskutierten viel. Themen, die wir besonders tief diskutierten waren Parteiwerdung und die Befreiung der Frau.

Eines Tages spazierten wir am Abend durch die Felder, dann setzen wir uns auf einen Hügel und sahen dem Sonnenuntergang zu. Uns gegenüber befand sich der prachtvolle Berg Cudî, welcher ein Symbol für die Gerîla und den Widerstand ist. Wir stellten uns vor, was wohl gerade die FreundInnen (also die Gerîla) dort machte. Dann erzählte Hevala Dîdar von ihrem Ziel auch nach Botan gehen zu wollen. Ihr älterer Bruder Şehîd Harun Tori war in Gabar gefallen. Durch den Märtyrertod ihres Bruders vertiefte sie sich permanent auf die Wahrheit der Gefallenen Genossinnen und Genossen. Somit hatte sie eine sehr tiefgründige Verbundenheit zu den gefallenen FreundInnen, welche für uns immer eine Inspirationsquelle und ein Vorbild wurden. Die Frage wie wir ihnen gerecht werden können, hielt sie immer lebendig. Das war auch ein Grund, warum sie sich in den Städten nicht erfüllt fühlte. Sie erzählte häufig wie schnell sie sich in den Bergen entwickelt hatte, welche Stärken sie in ihrer Persönlichkeit entdeckt hatte also wie schnell die Essenz der eigenen Persönlichkeit zum Vorschein kam. Sie betonte, dass es nicht möglich ist, dieses Potential in den Städten genauso hervorzubringen, in diesem Tempo eine Entwicklung zu machen. Deswegen war sie entschlossen und überzeugt davon so schnell wie möglich wieder zurück auf die Berge zu gehen, um dort dem faschistischen Feind welcher unserem Volk so viel Leid antut, Niederlagen zu versetzen.

Sie war eine Wahrheitssucherin

Sie wurde als Tochter einer ursprünglich aus Midyat stammenden Familie in Deutschland geboren. Sie wuchs im Bewusstsein des kurdischen Befreiungskampfes auf, da sich auch zahlreiche Menschen aus ihrem familiären Umfeld bereits der Gerîla angeschlossen hatten. Obwohl Hevala Dîdar im Herzen des Liberalismus und Kapitalismus geboren und aufgewachsen ist, hat sie sich nicht von dem falschen Leben des Systems assimilieren lassen. Und fühlte sich stets unvollständig. Und war auf der Suche nach ihrer Wahrheit.

Viele Kurdinnen und Kurden, die fern von ihrer Heimat leben, kennen dieses Gefühl, nie ganz erfüllt zu sein, da ihre Existenz, ihre Kultur und Sprache für nichtig erklärt wird. Und zugleich wird die Gesellschaft in tausend Teile zersplittert. Als Kinder solch einer Gesellschaft ist man von klein auf mit vielen Repressionen konfrontiert. Die dominante Assimilierungspolitik der Kolonialstaaten und der Imperialmächte bezwecken das wir uns komplett von unserer Identität entfremden und die Verbundenheit zu unserer Heimat verlieren. Doch so sehr es die ausbeuterischen Mächte auch darauf abzielen unsere Geschichte auszulöschen, gibt es immer Menschen, die auf der Spur ihrer Wahrheit sind. Für kurdische Jugendliche, die in Europa aufwachsen, gilt das besonders. Weil Länder wie Deutschland direkt an der Kolonialisierung Kurdistans beteiligt sind, stellen kurdische Jugendliche mit einem Bewusstsein für ihre Identität eine Gefahr für ihre Profite dar. Deswegen versucht der deutsche Staat besonders kurdische Jugendliche, unter dem „Deckmantel“ der Integration, zu assimilieren. Sodass sie am Ende von ihrer eigenen Gesellschaft, ihrer Heimat und ihrer Kultur entfremdet sind. Dies und noch vieles mehr erleben kurdische Jugendliche jeden Tag. Hevala Dîdar ist eine von vielen kurdischen jungen Frauen, die diese Kolonialpolitik des deutschen Staates erkannte und nicht akzeptierte. Sie war auf der Suche nach ihrem Selbst so wie Rêber APO sagt „Xwebûn“. Sie konnte das Leid ihres Volkes nicht ignorieren, obwohl sie die Möglichkeit dazu hatte, sich ein gemütliches Leben im System aufzubauen. Sie studierte Englisch und Philosophie auf Lehramt. Und war erfolgreich. Für ein Jahr studierte sie in den USA. Also das kapitalistische System öffnete ihr die Türen, aber sie verschloss sie ganz bewusst, weil sie nicht ein Teil des unterdrückerischen Systems sein wollte. Dafür fing sie an sich in der Universität zu organisieren, Antworten auf die Fragen zu suchen. Nach einiger Zeit in den Arbeiten entschloss sie 2017 sich dem Freiheitskampf anzuschließen. Sie entwickelte sich schnell und wurde zu einem Vorbild der Parteiwerdung. Trotz der Schwierigkeiten die sie hatte, die Einflüsse des Kapitalismus und Liberalismus ließ sie nicht vom Kampf und Widerstand ab. Ganz im Gegenteil sie ist für uns zu einem Symbol und Vorbild geworden, wenn wir unser Ziel klar vor Augen haben, dann ist nichts unmöglich. Sie wurde zu einer Gerîla-kommandantin. Als solche war sie auch innerhalb Fedaî-Strukturen „Hêzen Taybet“ – also den Spezialeinheiten – aktiv. Und als die Angriffe in den Media Verteidigungsgebieten anfingen, war sie vom ersten Tag an vorderster Front dort. Am 01.06.2022 fiel sie in Zap.

So sehr uns auch ihr Verlust schmerzt, gibt es Vieles was sie uns hinterlassen hat. Wir werden ihren Kampf zu unserem machen, und uns stets ihre Haltung zum Vorbild nehmen.

Şehîd Namirin!

Rozerîn Amara

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