Natur. Natur heißt auf kurdisch „Xweza“, also sich selbst zu gebären, sich selbst zu schaffen. Dies zeigt bereits vieles über das Verständnis der Natur und die Welt auf. Auch bezeichnet Rêber APO den Menschen als zweite Natur. Der Mensch kann von neuem geboren werden, er kann sich selbst neu schaffen. In der kapitalistischen Moderne wurde der Mensch seiner Natur beraubt und sich selbst entfremdet. Voller Komplexe, ohne Liebe, ein Wettlauf um ein Leben, welches nicht wirklich gelebt wird. Vor allem Frauen sehen sich dazu verdammt, mit Masken zu leben und anstatt zu lernen, sich neu zu schaffen und diese spannende Erfahrung zu machen, nur an ihrem Äußeren arbeiten. Doch gibt es fernab dieser Verwirrung ein echtes Leben, welches geschaffen wird.
Ich weiß nicht, wie ich die Gerîla ausdrücken könnte. Der erste Gedanke ist erstmal ein Gefühl, eine große Liebe. Eine tiefe Demut und ein Lächeln, wenn ich an diese bezaubernden Genossinnen denke, die auf den Bergen leben. Bezaubernd klingt auf Deutsch womöglich befremdlich, doch es ist tatsächlich ein Zauber, der ausgestrahlt wird. Ein Zauber, der einen trägt, dazu führt, dass man aufgeht, wie eine Sonnenblume welche sich aufrichtet, sobald die Sonne aufgeht. In einem so dunklen, finsteren Krieg leuchten die jungen Frauen der Gerîla mit ihrem Lachen, mit ihrer Haltung. Es ist ein tiefer Respekt, den ich empfinde. Tatsächlich ist es ein Schwärmen. Liebe. Wieso fühlt man sich auf den freien Bergen so? Bestimmt haben wir uns schon gefragt, warum man sagt „freie Berge“. Es gibt jeden Tag Angriffe und man kann sich auch nicht nach Lust und Laune bewegen. Die Berge sind frei, weil die Gerîla frei vom Schmutz des Kapitalismus ist. Frei von Komplexen. Frei vom negativen Druck des Systems, von Neid, von Egoismus. Jede Genossin ist wie sie ist, in ihrer Reinheit und Schönheit. Natürlich ist niemand perfekt. Es geht auch darum, wie man damit umgeht. Wir kommen alle aus dem System, Fehler sind ein Bestandteil unserer Persönlichkeit und des Kampfes. Man arbeitet gemeinsam daran als gemeinsamer Geist.
Als ich das erste Mal auf den freien Bergen Kurdistans war, wusste ich noch nicht einmal, wie man eine Orange schält. Aber mit Geduld und viel Liebe wird dir alles beigebracht. Und plötzlich merkst du in dieser Gemeinschaft, wie Probleme in der Persönlichkeit, die du Jahre nicht überwinden konntest, sich fast wie von alleine lösen. Es geschieht nämlich in einem natürlichen Prozess. Ich habe erst dann gemerkt, wie viele Mauern und Selbstzweifel in Europa in mir aufgebaut wurden. Klarheit bekam ich erst dort.
Für was will ich leben?
Ich will leben, doch für was will ich leben? Ich will lieben, aber was und wie will ich lieben? Es gibt das bekannte Zitat Rêber APOs: „Wahrheit ist Liebe und Liebe ist freies Leben“. Ja, man spürt, was die Wahrheit ist, auch wenn wir sie nicht immer genau benennen können, sehen wir, dass Liebe die Grundlage all unseres Lebens ist. Zur Gesellschaft, zu den Sternen, zu unseren Genossinnen und sogar für einen kleinen Maienkäfer, der uns auf die Hand krabbelt. Wir können aber nur eine wahrhaftige Liebe entwickeln, wenn sie in Verbindung mit Freiheit steht, in einer Gemeinschaft, die auf freiheitlichen Werten beruht. Wo gibt es diese Freiheit als Mensch, als Frau, wenn nicht auf den freien Bergen. Doch erfordert diese Liebe einen großen Kampf. Denn es wird versucht sie uns aus den Händen zu reißen, aus unserem Herzen und unserem Kopf. Der Kapitalismus spielt mit dem Liebesbegriff. Auch versucht er diese starke Liebe zu der auch Heimatliebe gehört, zu zerstören, Hoffnungslosigkeit zu schaffen. Dies geschieht durch einen brutalen Krieg. Das heißt, wenn wir sagen, dass das Leben die Liebe ist, dann bedeutet Leben Widerstand. „Widerstand heißt Leben“ so benannte es der große Held Mazlum Doğan, als er diese Worte an die Mauer seiner Gefängniszelle schrieb und unsterblich wurde. Man kann aus Liebe das größte Potential schöpfen. Wir haben eine so große Kraft in uns verborgen, über die wir uns nicht bewusst sind. In der Gerîla stärken sich die Freundinnen und werden eine Seele. Die größte Angst des Feindes. Jeden Tag überwindet man sich mehr in der Gerîla. Du hast die große Ehre, die Geschichte Jahrtausende alter Kämpfe fortführen zu dürfen, eine Kriegerin des Lichts, eine Militante Rêber APOs. Wem gewährt sich dieses Glück schon? Und dies in Kurdistan, du wunderschönes Kurdistan, dessen lange und harte Geschichte dich den Schmerz und auch die Liebe dieses Bodens spüren lässt. Die Berge umarmen und beschützen dich, so wie sie es bereits taten, als Alexander der Große hier vorbei wollte. Heute beschützen deine Kinder dich wieder du süßes Kurdistan. Die Gerîla, mit dem Lächeln der Freiheit auf den Lippen vereinigen ihren Verstand und ihre Liebe und werden zu einem Feuerball, welches das Herz des patriarchalen Feindes durchschlagen wird. Der Feind setzt alles ein was er hat. Heute geschehen diese Angriffe in Form von Giftgasangriffen. Gleichzeitig gibt es auf politischer Ebene Angriffe, einen harten Kampf in allen Bereichen. Ein Nebel, der über uns gelegt wird, auf den Bergen und auch in unserem Verstand. Doch die Gerîla ist Sonne und Regen und lässt den Nebel verziehen. Mit ihrer aufopferungsvollen Art schreiten sie an, wie die Göttinnen der Berge um unsere Werte mit allem was sie haben zu verteidigen – ohne persönliche Berechnungen. Natürlich nicht, denn das schönste, dass es auf der Welt gibt, ist es eine fedayî[1] für das Volk zu sein. Verliert man dadurch? Nein man gewinnt nur: Liebe, Wissen, die Heiligkeit des kollektiven Lebens. Du hast die Chance dich zu rächen für alles was deinen Vorfahren und dir und allen Frauen dieser Welt angetan wurde. Wir rächen uns in dem wir ein neues und schönes Leben aufbauen. Schmerz wird immer ein Teil der Revolution sein, doch auch wahre Liebe und Kraft trägt diese Revolution. Ein einziges Mal haben wir die Chance zu leben. Ich will sie in vollen Zügen leben. Wenn wir in uns gehen, da wissen wir, dass wir einen bestimmten Platz in diesem Universum haben. Wenn ich sterben sollte, dann ehrenhaft in Wissen, dass ich viel getan habe, um frei zu sein und zu befreien. Wir sind in einem historischen Moment in dem wir uns -ehrlich- fragen was unsere Rolle ist. Wie stehen wir zu Rêber APO. Wie sehr wollen wir die Freiheit? Die Gerîla ist sehr klar! Wir werden den Faschismus besiegen, den Feind, der unser Leben vergiftet auf die Knie zwingen und Rêber APO befreien! Denn wir haben die Moral, die Wahrheit, den Willen des Volkes, tausende Şehîds und das wichtigste, die Philosophie Rêber APOs auf unserer Seite. Bijî Gerîla, Bijî Rêber APO!
Xweza Zîlan
[1] Kurdisch für opfern; hier ist eine Person gemeint, die bereit ist ihr ganzes Leben für den Kampf zu widmen, und wenn es sein muss auch bereit ist für diesen Kampf in den Tod zu schreiten.