Freiheit ist nicht begrenzbar, nicht individualisierbar. Sie ist das Ziel all unserer Sehnsüchte und Utopien und gleichzeitig wird sie Wirklichkeit, sobald wir für die größten Träume kämpfen. „Ich möchte kein anderes Volk an meiner Stelle für meine Freiheit kämpfen lassen“, hat Şehîd Hêlîn einmal gesagt. Die Berge Kurdistans sind so bunt und vielfältig wie die demokratische Nation. Eine Internationalistin in den Nachrichten aus Rojava oder den Reihen der Guerilla ist schon längst keine Seltenheit mehr. Im Gegenteil! Und trotzdem stolpere ich immer wieder über die Frage, „was bringt diese InternationalistInnen eigentlich zu unserer Revolution“? „Gehört denn die Freiheit nur einem Volk?“ antworte ich dann meistens und wir kommen zu dem Schluss, dass Rêber APO uns allen den Weg der Freiheit bereitet hat. Aber was zieht tausende von internationalistische Jugendliche nach Kurdistan, warum entscheiden sich Jugendliche aus der ganzen Welt, dem Weg Rêber APOs zu folgen?
Die Sehnsucht nach Freiheit steckt in jeder Person
Jede Jugendliche entwickelt irgendwann ein Gespür dafür, dass das System, in dem wir leben, in einer Krise ist und wir oft fern von jeglicher Menschlichkeit leben. Jede junge Frau spürt irgendwann am eigenen Körper, dass die Art wie sie sich im System zu verhalten hat, völlig entfremdet ist. Wer ein menschliches Gewissen hat, sieht dann auch die Verantwortung zu handeln und selbst zur Veränderung beizutragen. Aber die Frage ist, wollen wir uns nur ein bisschen „engagieren“, ein bisschen Aktivismus betreiben um uns zu beschäftigen, um unser Gewissen zu beruhigen? Oder haben wir den Mut an den Kampf für Freiheit, den Mut voll und ganz an die Revolution zu glauben? Wollen wir nur ein zum bürgerlichen Leben leicht alternatives Leben? Oder trauen wir uns, eine wirklich freie Gesellschaft zu erträumen? Suchen wir nur eine individuelle Identität, oder sind wir bereit den Kampf gegen Patriarchat und Kapitalismus in uns selbst radikal zu führen und zu (militanten) Persönlichkeiten zu werden, die die Gesellschaft organisieren können?
Das System versucht diese Sehnsucht nach Freiheit, die in uns allen schlummert, das revolutionäre Potential der Jugend, zu ersticken. Es geht letztendlich darum unsere Hoffnung zu zerstören und uns mit Täuschungsmanövern in die Fallen des Liberalismus zu locken. Besonders die revolutionären Bewegungen in Europa versuchen die Staaten durch Spaltung und Liberalismus zu brechen und wieder an sich zu binden. Von Instagram-Feminismus über Stoffbeutel-Ökologie bis hin zur Staats-Antifa. Aber auch die Suche nach einem demokratischen Freund oder Ehe-Mann, die Idee von einer „freien“ Sexualität oder der Traum von einem „nichtausbeuterischen“, „sozialen“ Beruf, mit dem man das System von innen verändern würde… Was den Anschein von Progressivität und Demokratie hat, ist meist die gleiche Unterdrückung nur in einem liberalen, individualistischen Denkmantel.
Was wir brauchen sind Revolutionärinnen
Wenn unsere Träume eng und klein bleiben, wir nicht den Mut aufbringen an uns selbst und an die Revolution wirklich zu glauben, haben wir auch keine andere Wahl als dem Reformismus und dem Liberalismus zu verfallen. Dann lassen wir uns doch wieder in das individualistische, hedonistische Leben fallen und verlieren uns in „romantischen“ Beziehungen, Familie- und Karrieregedanken. So versucht uns das System daran zu hindern revolutionäre Liebe zu entwickeln. Revolutionäre Liebe ist wie die Erde, aus der die Blumen der Revolution sprießen können. Sie hat die Kraft die zerteilte Gesellschaft wieder zu verbinden und die Grenzen zu überwinden, die der Feind in uns und zwischen uns gezogen hat. Nur so werden wir zu einer gemeinsamen Kraft. Nur so können wir gegen das patriarchale System, dass und zerstückeln und vereinzeln will, gewinnen. Was wir brauchen sind Revolutionärinnen. Die Freiheitsguerilla lernen wir nicht kennen über Kämpferinnen die nachts an unsere Tür im Bergdorf klopfen. Nicht über unsere Geschwister, Cousins und Cousinen, die selbst den Weg der Freiheit gegangen sind. Aber auf der Suche nach einem revolutionären Leben, wird sich der Blick einer jeden Suchenden von den Seiten der Geschichtsbücher über Partisanenkämpfe, die Rote Zora und die Black Panthers irgendwann auf die Guerilla in den freien Bergen Kurdistans richten. Die stärksten Waffen der Guerilla sind die Werte, die sie in sich erschafft. Fern von systemischen, egoistischen Beziehungen kämpfen die FreundInnen für eine wahre Verbundenheit und machen es sich zur Aufgabe zum Herzen der Menschlichkeit, zur ideologischen Kraft der Gesellschaft zu werden. Es ist diese Kraft, die den Freiheitskampf in Kurdistan zu einem Hoffnungsschimmer für revolutionäre Bestrebungen weltweit hat werden lassen.
Die Front des Dritten Weltkrieges
Im kurdischen Volk schlummert – wie in allen Gesellschaften – die moralisch politische Gesellschaft, die Faser der Menschlichkeit. Die PKK jedoch hat es geschafft, sie wieder zum Leben zu erwecken. Es ist eine Gesellschaft, die uns als InternationalistInnen am Anfang vielleicht fremd erscheint, doch je mehr wir die Gesellschaft Kurdistans befreien und ihren Kern wieder hervorholen, desto mehr können wir uns selbst in ihr erkennen. Rêber APO hat gesagt „Den Sozialismus zu verteidigen, bedeutet die Menschheit zu verteidigen“. Der demokratische Konföderalismus ist der Schlüssel, der in den Bergen verborgen liegt. Wenn das Tor dort geöffnet wird, dann verbinden sich alle revolutionären und gesellschaftlichen Kämpfe weltweit miteinander. Der Schauplatz der internationalen Revolution sind die Berge Kurdistans. Der Widerstand in Kurdistan ist die Front des Dritten Weltkrieges. Hier in Europa scheint Krieg für uns wie eine ferne Realität die wir nur aus Filmen kennen. Aber wenn wir die Lage der Gesellschaft in Europa ehrlich bewerten, sehen wir, dass dieser Krieg in Europa mindestens genauso dreckig und gewaltvoll geführt wird. Lediglich die Waffen hier andere sind. Ziel ist eine Herdengesellschaft. Vergewaltigungskultur, Spezialkrieg, Empathielosigkeit. Unser Feind ist nicht einfach die Deutsche Polizei, die Nazi-Netzwerke, das Kohlekraftwerk, der Vergewaltiger von nebenan oder Erdogan. Unser Feind ist das System, das versucht die Gesellschaft zu zerstören um die eigene Macht und Kontrolle aufrecht zu erhalten. Kurdistan ist das Zentrum des Kampfes. Mehr noch ist die Frauen-Guerilla das Herz des Widerstandes gegen das Herrschafts- und Unterdrückungssystem. Es sind Sterne des Widerstandes wie Şehîd Hêlîn und Şehîd Ronahî, die uns zeigen, dass sie obwohl sie weder den Krieg, noch Kurdistan oder die kurdische Gesellschaft kannten, die Notwendigkeit der Revolution gespürt haben und dem Ruf der Freiheit gefolgt sind. Auch sie hatten bestimmt Ängste und Unsicherheiten ins Ungewisse zu gehen. Wenn wir Internationalismus als das Erschaffen einer wahren, revolutionären Liebe leben, dann können auch wir die Grenzen die das System sowohl in uns selbst, also auch zwischen uns geschaffen hat, ein für alle Mal überwinden.
Ronahî Ceren