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Çand û Dîrok

Chatten oder Realtalk?

„Nn. kb. hdf…“ „Können wir bitte aufhören über WhatsApp zu diskutieren?“ „Auf Insta sah er aber ganz anders aus…“ „Wie kann ein Mensch nur so viel Hass von sich geben?“ „Internetgangster…“

Noch unzählige Sprüche und Beschwerden, die jeder von uns tagtäglich in unserem Umfeld zu hören bekommt.

Laut Onlinestatistiken verbringt ein durchschnittlicher Erwachsener in Deutschland 20,2 Stunden pro Woche am Smartphone. Umso erschreckender sind aber die zuletzt veröffentlichen Zahlen der Jugend-Digitalstudie. Aus dieser geht hervor, dass die Jugendlichen zwischen 16 bis 22 Jahren im Schnitt 70,4 Stunden pro Woche online seien.

Demnach müssen wir uns vergegenwärtigen, dass diese Neue Digitale Welt sich zu unserer Realität entwickelt hat und jeden Bereich unseres Lebens beeinflusst, primär unsere Sprache. Durch die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung entsteht ein enormer sprachlicher Wandel. Dabei leidet die Sprache durch den Medieneinfluss. Das Resultat ist der Verlust des Sprachgefühls, die Verzerrung der Kommunikation und der Aufbau unechter Beziehungformen.

Rêber APO weist darauf hin, dass die Sprache in einer sehr engen Beziehung mit der Kultur steht, diese sogar das Bestandsteil der Kultur ist. Im engeren Sinne könne man sogar die Sprache als eines der wichtigsten Bestandteile der Kultur definieren. Schließlich ist die Sprache selbst die gesellschaftliche Akkumulation der Mentalität, der Ethik, der Ästhetik und der Emotionen. Sie ist das Bewusstsein und der Ausdruck des Verständnisses und der Emotionen, sowie die Existenz der Identität und Mentalität. Dabei betont er, dass das Entwicklungsniveau einer Sprache das Niveau der Lebensqualität charakterisiert.Wenn wir den digitalen Sprachgebrauch betrachten, dann sehen wir eine erhebliche Absenkung des Niveaus und des Einreißens dieser von der Gesellschaft. Denn die Sprache wird immer grober und primitiver. Da die ständig steigende und verändernde Visualisierung der medialen Welt viel Zeit beansprucht und Schnelligkeit erfordert, bleibt für die zwischenmenschliche Interaktion sehr wenig Geduld. Das Tempo bedingt rapide Handlung, kurz und knapp. Also flüchtige Antworten, kurze Kommentare oder komprimierte Tweets, für die sprachliche Entfaltung bleibt keine Zeit und Lust. Gleichermaßen wird die Fokussierung auf eine Sache sehr schwer. Schauen wir uns dabei das Videoportal TikTok an; stets scrollen wir runter, in einem Moment sehen wir, wie in Ostkurdistan eine 22-Jährige junge Frau ermordet wurde, wir fühlen uns für 40 Sekunden traurig, dann erscheint das nächste Video über das letzte Pflegeprodukt einer Influencerin, dann fünf beste Urlaubsorte usw. … Schon nimmt unser Trauergefühl ab. Das Mitgefühl sowie unsere Empathie-Fähigkeit stumpft ab. Wir verwandeln uns also immer mehr zu den Persönlichkeiten, welche das kapitalistische System entwickeln möchte. Menschen die keine Empathie empfinden, einsam und lebendige Tote sind, die dem System dienen und für dieses keine Gefahr darstellen. Die digitale Welt ist für den Kapitalismus ein sehr wichtiges Instrument. Die Isolation durch die Zusammenkunft in einem nicht realen Raum ist dabei der wichtigste Punkt. Natürlich gleichzeitig die Förderung des Konsums. Es entsteht ein ständiger Wettbewerb durch die Selbstdarstellung. Die neuesten Klamotten, die besten Urlaubsorte, die qualitativsten Produkte, die „perfekten“ Körper… Die permanente Konkurrenz wird auch durch die Sprache übertragen. Der Neid und die Eifersucht führt zu gehässigen Äußerungen und Kommentaren. Das Verheerende ist dabei, dass diese mehr unter Frauen geschehen. Hierbei kommt es zu moralisch verwerflicher Sprache. Bekanntlich ermöglicht die digitale Welt diesen Gebrauch oder macht es auf jeden Fall viel einfacher sie in der Welt zu verbreiten. Die Anonymität oder nicht direkte Begegnung, ermutigt viele sich noch sexistischer, beleidigender und unmoralisch zu äußern. Da ein gesellschaftlicher Umgang fehlt und alles durch kurzes Schreiben erfolgen kann, gibt es keinerlei Barrieren. Das Moralverständnis einer Gesellschaft hat in der digitalen Welt kaum einen Platz. Diesbezüglich müssen wir uns auch das Vorgehen von Männern gegenüber Frauen vor Augen führen. Dermaßen viele Frauen werden täglich auf verschiedenen digitalen Plattformen belästigt. Es ist desaströs, dass es derart einfach erfolgen kann. Der gesellschaftliche Respekt ist im Internet wie verschwunden. In der realen Welt würden viele dieser Männer sich nicht trauen, sich auf diese Weise zu äußern. Der Unterschied zwischen den Kommunikationen im realen Leben und in der digitalen Welt ist erheblich. Auch Leute die sich eng stehen, sprechen online anders miteinander. Es erfolgt nämlich kein direkter Bezug, ein gegenseitiges Zuhören und Verstehen kann nicht zu Stande kommen. Das ist auch der Grund, wieso fast jeder schon mal „lass uns einfach persönlich klären, wir sprechen die ganze Zeit aneinander vorbei,“ gehört hat. Des weiteren nimmt das Verantwortungsgefühl beim Chatten ab. Eventuell ist es euch aufgefallen, wie schnell in eurem Umfeld Menschen etwas Abgesprochenes oder Versprochenes ohne Skrupel absagen können. Denn auch hier tritt wieder keine Gefühlsübertragung ein. Das Wort verliert somit immer mehr an Bedeutung.

Aus diesem Grund kann der digitale Wandel kein gesellschaftlicher Ersatz sein. Eine zwischenmenschliche Wechselbeziehung darf nicht hauptsächlich virtuell passieren! Dies führt, wie oben schon ausgeführt, zum gesellschaftlichen Verlust der Kultur und darin einbegriffen, auch zum Verkommen der Sprache. Die Digitalisierung muss der Gesellschaft als Hilfsmittel dienen. Sie ist für die Benachrichtigungen und Aufklärung der allgemeinen Öffentlichkeit sehr bedeutsam. Wir müssen nur den Gebrauch damit balancieren können. Also uns nicht von der digitalen Welt vereinnahmen lassen. Schließlich während wir unsere so wertvollen Stunden damit verbringen, zieht das echte Leben an uns vorbei. Wenn wir dieses Bewusstsein erlangen, können wir unsere Kommunikationen auch gesellschaftlich gestalten. Deswegen jetzt alle Handys weglegen und Xwebûn lesen.

-Dîdar Amara

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