„Fikr, Zikr, Çalakî“ ist ein wichtiges Motto innerhalb der Freiheitsbewegung. Es heißt übersetzt in etwa: „Denken, Aussprechen, Handeln“. Es geht dabei darum, alle Tätigkeiten gleichzeitig auszuführen: Das was man denkt, zu sagen und was man sagt, zu machen. Dabei soll weder mein Gedanke das Gegenteil von dem sein was ich mache, noch soll ich sagen, was ich nicht mache. Hier wird die Einheitlichkeit von Gedanken, Formulierung und Tat ganz klar. Unsere Taten und Worte sagen sehr viel über unsere Gedanken aus – sehr vieles machen wir auch unbewusst, doch zeigt sich unsere Mentalität.
Der Spiegel meiner Gedanken
Meine Worte und Taten sind wie der Spiegel meiner Gedanken. Vielleicht ein etwas trüber Spiegel, weil nicht alles über mich zum Vorschein tritt. Jedoch versteht man vieles über die Person, sogar über eine Bevölkerung, durch ihre Sprache, durch die Formulierungen die sie verwenden. Wie interessant ist es zum Beispiel, dass das kurdische Wort für Mutter Yade, Daye oder auch einfach Dê ist. Denn diese Wörter leiten sich vom Verb ‚dayîn‘ (geben) ab. Also ist Mutter diejenige‚die gibt, gegeben hat‘. Hierbei sehen wir, den Wert, den die Gesellschaft der Mutter beimisst. Auch interessant ist, dass es in der kurdischen Sprache kein direktes Wort für ‚hassen‘ gibt. Wenn du etwas oder jemanden nicht magst, könntest du z.B. sagen: „rihê min diçe“ – also ‚mein Geist verlässt mich‘. Oder kennst du das, wenn KurdInnen zu Menschen mit schönen Augen sagen: „Eselsaugen“? Klingt für andere bestimmt befremdlich, doch im Mittleren Osten ist es ein Kompliment. Was sagt das über dieses Volk aus? Ohne Zweifel eine Menge über die Bräuche, Angewohnheiten, Schönheitsideale, Gefühls- und Gedankenwelt. Das gilt auch für Individuen. In einer sexistischen Gesellschaft, wird die Sprache auch sexistisch sein. Wenn eine Bevölkerung auf Grund des Einflusses des Patriarchats Frauen verachtet und minderwertiger ansieht, werden wir das auch an ihrer Sprache, an ihren Traditionen, an ihren Angewohnheiten ablesen können.
Kranke Sprache verseucht Gesellschaft
Um den Grad des Sexismus in einer Gesellschaft festzustellen, wird die Sprache alleine nicht reichen. Aber die Sprache ist ein wichtiges Indiz. Ich werde dazu nicht viele Beispiele geben, und einige Aspekte auch in diesem Text nicht vertiefen können. Doch es gibt Punkte, die wir anschneiden können. Wir sprechen von 5000 Jahre altem Patriarchat. Das heißt, dass ca. 5000 v.u.Z. im Mittleren Osten der Umsturz der natürlichen Gesellschaft stattfand. Wir schwärmen von den Zeiten, in denen die Frau als natürliche Organisatorin, die Gesellschaft mit freiheitlichen, kommunalen, (prä)demokratischen Werten aufrechterhalten hat. Doch dann wurde die Frau von ihrer gesellschaftlichen Rolle gestürzt, ihr Wissen vereinnahmt, als Prostituierte zum Objekt der Begierde des Mannes gemacht, durch die Etablierung der Institution Familie (ca. 3000 v.u.Z.) in vier Wände eingesperrt und allmählich zur Halb-Freiluft-Gefangene gemacht.
Göttinnen waren damals heilig. Mit den Göttinnen (Götter werden erst ca. 3000 v.u.Z. erwähnt) erklärten sich die Gesellschaften Naturphänomene und das Leben. Es waren die Göttinnen und Götter von denen die Gesellschaft Kraft schöpfte. Um die heilige Position der Frau zu brechen, etablierten die Männer immer mehr Priester die meinten ‚direkten Kontakt’ zu den Göttinnen zu haben. Sie waren es, die dafür sorgten, dass immer mehr Götter ‚entstanden‘ und die Göttinnen in den Hintergrund gerückt wurden. Damit wurde gesichert, dass die Weisheiten und Lebensregeln der Gesellschaft nun mehr von Männern bestimmt wurden, die das Patriarchat aktiv mit aufbauten. Mit Befehlen, sexistischen Lebensweisheiten, misogynen Predigten – also mit dem Wort, mit einer neuen patriarchalen Sprache – wurde das Patriarchat etabliert. Hat es in der natürlichen, demokratischen Gesellschaft Worte wie Kolonialismus, Ausbeutung, Hierarchie gegeben? Hätte es in der natürlichen Gesellschaft, in der doch die Frau als so wertvoll angesehen wurde, Bezeichnungen wie Weib, die Olle, Zicke geben können? Haben sich wohl Menschen in der natürlichen Gesellschaft – in der es noch kein Eigentum und Besitz gab – als ‚mein Schatz‘ bezeichnet, was ja eindeutig aufweist, dass man etwas (in diesem Falle eine Person) besitzt…?
Klar ist, dass mit dem Entstehen des Patriarchats, auch die Sprache verändert wurde, und zugleich die Sprache überhaupt manipuliert werden musste, damit sich das Patriarchat überhaupt verbreiten konnte. Die Priester verseuchten die Gesellschaft mit ihren Worten. Sie gaben ihren Sexismus in Worten verpackt weiter, wie eine Krankheit, die sich allmählich immer weiterverbreitete, und sogar anfing zu mutieren.
Sprache als Gewalt
Die Sprache wurde (und wird) als Instrument des Patriarchats verwendet, um den Willen der Frau zu brechen, um die Frau an ihre neue Rolle zu gewöhnen, um die Machtverhältnisse und die Hierarchie der Geschlechter zu legitimieren. Ist dann Sexismus in der Sprache nicht ein Gewaltinstrument? Die Frau wird ständig angegriffen, ständig degradiert. Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen dem Gebrauch sexistischer Sprache und verbaler (sprachlicher) Gewalt. Es gibt mehrere Fälle von sprachlicher Gewalt, wie zum Beispiel:
- Personale Gewalt, ist wenn Männer Frauen in privaten oder öffentlichen Bereichen nicht ausreden lassen oder sogar die Gesprächsthemen nur von Männern bestimmt werden. Dazu zählt auch, dass Männer ständig zum Mittelpunkt der Gespräche gemacht werden, und den ganzen Raum einnehmen. Was ebenfalls häufig vorkommt ist, dass den Aussagen einer Frau nicht viel Wert beigemessen, oder ihre Worte automatisch überhört werden. Wenn der Mann ein und dasselbe aussagt, wird dem eine ganz andere Wichtigkeit beigemessen.
- Psychische Gewalt, ist wenn Frauen von Männern durch Sprache beleidigt, erniedrigt, verspottet oder komplett ignoriert werden.
- Strukturelle Gewalt, spiegelt sich in den Eigenschaften des Sprachsystems wider. In Berufsbezeichnungen zum Beispiel ist es gängig, die männliche Form zu verwenden und Frauen einfach in der männlichen Form der Berufsbezeichnung zu ersetzen. Außerdem zeigt sich strukturelle Gewalt auch darin, dass Dinge, die mit Frauen in Verbindung stehen immer weniger Wert haben („heul nicht wie ‘ne Frau, du lachst wie eine Frau“). Und Dinge, die uns an Männer und sein Geschlechtsteil erinnern immer positiver und höhergestellt sind („Er hat Eier; Kämpf wie ein Mann!“) Allgemein gibt es auch sehr oft sexualisierte Bezeichnungen: „Tote Hose; Weichei; Geil!…“. Ein weiteres Beispiel ist der Begriff man: „Man kann das auch so betrachten, man sieht ganz klar, dass…“ Ein ‚n‘ mehr und wir lesen Mann. Bei der Aussprache gibt es so oder so keinen Unterschied. Ständig sprechen wir von dem Mann. Der Man(n) macht alles, kann alles, sieht alles, versteht alles und so weiter. Der Maßstab ist der Mann.
Veränderung der Mentalität der Gesellschaft
Durch diesen ständigen sexistischen Einfluss wird natürlich auch die Mentalität der Gesellschaft verändert. Es geht gar nicht darum, ob wir bewusst, oder unbewusst sexistische Sprache reproduzieren. Sexismus versteckt sich tief in unserer Sprache, sodass wir oft selbst sexistische Dinge sagen, bzw. unsere Worte vor Sexismus triefen, ohne dass wir uns darüber bewusst werden. Wenn ich hier von Sprache spreche, spreche ich übrigens nicht von Kurdisch. Sondern allgemein von der Sprache, die in diesem Jahrhundert, verwendet wird. Das 5000 Jahre alte Patriarchat hat eine Vergewaltigungskultur aufgebaut. Die Vergewaltigungskultur bringt auch eine sexistische Sprache mit sich. Eine Sprache die feindlich gegen die Frau ist, eine Sprache, die (wie oben ausgeführt) die Frau bricht und erniedrigt. Die positivistische Wissenschaft wird jetzt Beweise verlangen. Aber schauen wir uns mal diese Widersprüche an: Es gibt viele junge Frauen, die einander – beeinflusst von der Musikindustrie usw. – ‚Bruder‘ nennen. Oder noch widersprüchlicher: Sie rappen und singen Lieder mit, in denen jede 5. Sekunde die Frau als ‚Schlampe, Hure, Bitch‘ bezeichnet wird. Sing mal jeden Tag Lieder mit, in denen mindestens 10-mal diese abwertenden Worte vorkommen. Wie wird sich das auf deine Einstellung zu Frauen auswirken? Es normalisiert, dass Frauen als Sexobjekte gesehen werden!
In den Medien gilt das ebenfalls. Es heißt: „Frau wurde tot aufgefunden“ – Wäre es nicht richtig zu sagen: „Mann tötete Frau“? Es ist der Mann, der sie umgebracht hat. Warum sollte die Frau als Subjekt ihres eigenen Todes dastehen. Sie wurde nicht umgebracht. Der Mann hat eine aktive Rolle. Er ist das Subjekt. Doch noch immer wird die Schuld des Mannes verweichlicht, normalisiert.
Auch ist die Übersexualisierung unserer Sprache erwähnenswert. Alltagssprache, Lieder, Redewendungen sind überladen mit Sexismus. Wie oft am Tag verwendet eine Jugendliche/ ein Jugendlicher das Wort ‚geil‘ um etwas auszudrücken, was ihr oder ihm gefällt? Wie oft wird besonders im englischen Sprachgebrauch das Wort „Fuck“ verwendet? Dabei bedeutet ‚geil‘, dass man sexuell erregt ist; und ‚fuck‘ ist ein abwertender Aufruf (denn es wird in der Befehlsform verwendet) zum Geschlechtsverkehr. Sexualisierung der Sprache ist eher dem kapitalistischen Zeitalter zuzuschreiben. Denn in der kapitalistischen Moderne ist die Sexualisierung und die Pornografisierung der Frau auf ein neues Level gestiegen: Die Frau wird zur billigsten Ware für männliche Begierden ausgebeutet. Sie hat kaum Wert und ist deshalb so austauschbar. Rêber APO sagt dazu: „Sie ist die Ware der Waren. Sie ist die Königin der Waren“.
Ausblick?
Wir müssen die Sprache dringend von neuem aufgreifen, analysieren und auch konkrete Veränderungen schaffen. Denn die sexistische Sprache ist eine Sprache voller Gewalt gegen Frauen, sie ist eine Waffe des Patriarchats. Doch die Sprache, als wichtigster Faktor einer Kultur, sollte nicht bestimmt sein vom Patriarchat, sondern von ihrer Gesellschaft! Daher sollte auch die Gesellschaft die Sprache von Neuem definieren. Wie soll sich jedoch eine Gesellschaft von Sexismus in der Sprache befreien, wenn sie selbst unter ständigen sexistischen Einflüssen steht? Klar ist doch, dass Sprache und Mentalität miteinander zusammenhängen: Wir müssen die Sprache ändern, damit sich die Mentalität ändert, und die Mentalität ändern, damit sich die Sprache ändert. Es gibt nicht „erst das, dann das“. Sprache ist nicht der einzige Faktor, dem im anti-patriarchalen Kampf Aufmerksamkeit gegeben werden sollte. Doch die Sprache ist ebenfalls eine Front dieses Widerstandes.
Die Freiheitsbewegung und die kurdische Frauenbewegung haben schon einige wichtige Ansätze entwickelt, um die Ganzheitlichkeit des Kampfes zu bewahren. Sie versuchen die neue Sprache und neuen Begriffe auch mit neuen Konzepten und Projekten zu verknüpfen. Das ist ein erfolgreiches Streben, um nicht nur für formelle Änderungen zu sorgen, sondern diese Veränderungen auch im Individuum und in der Gesellschaft zu bewirken. Neue Worte und Konzepte müssen von der Gesellschaft verinnerlicht werden. Das heißt also, wenn wir sagen, dass wir von nun an in der deutschen Sprache gendern, dann müssen wir uns aber auch Konzepte überlegen, wie wir in der Gesellschaft ein Verständnis etablieren, dass Frau und Mann eben doch gleichgestellt sind. Wenn wir sagen, dass auf Kurdisch das Wort pîrek (abwertend für Ehefrau) nicht mehr verwendet werden soll, brauchen wir eine Alternative. In diesem Fall z.B. Hevjîn (LebenspartnerIn). Und da das auch nicht reicht um die Ungleichheit, die Ausbeutung und die Machtverhältnisse in der Ehe und in der Partnerschaft auszulöschen, hat Rêber APO das Projekt des Hevjiyana Azad entwickelt. Hevjiyana Azad (übersetzt in etwa Gemeinsames freies Leben) ist das Projekt, um die Partnerschaften und Freundschaftsbeziehungen vom Patriarchat zu befreien, um sie von neuem nach Prinzipien der Freiheit, gegenseitigem Respekt zu definieren. Formelle Veränderung und Veränderung in der Mentalität und im Leben gehen Hand in Hand ineinander.
Dafür gilt es auch viel mehr Bewusstseinsbildung zu leisten. Mit Bildungen und Seminaren müssen wir die Themen Sexismus, Entstehung des Patriarchats und ihre Folgen auf die Gesellschaft thematisieren. So können wir ein grundlegendes Verständnis erschaffen. Mit diesem Bewusstsein und Verständnis sind wir alle, ob Frau oder Mann, alt oder jung, dafür zuständig von nun an mehr auf unsere Sprache zu achten. Wir können viel aufmerksamer in unserer Wortwahl sein, viel mehr daran arbeiten, dass wir Alternativen finden, die wir auch im Leben umsetzen. Wir können uns reinigen von der patriarchalen, giftigen Sprache. Es liegt in unserer Hand! Mit dem starken Kampf der kurdischen Frauenbewegung und der Philosophie Rêber APOs ist der Umschwung näher als sonst! Mit großer Entschlossenheit können wir Frauen sagen „Fikr, Zikr, Çalakî“, und auch gegen den Sexismus in der Sprache unseren Kampf vergrößern.
-Mazda Mariya