Leyla Qasim – die Frau mit Haaren wie die Nacht

-Deniz Özgür

Im Mittleren Osten gibt es viele Leylas mit Haaren wie die Nacht. Genau diese gedenken wir immer voller Liebe und Stolz. Doch diese Liebe ist keine Liebe, wie ihr sie aus den Märchen kennt. Denn diese Leylas passen nicht in die Rollen der klassischen Frau hinein. Sie verlieben sich in den Boden, in die Zeit, in das Leben, in ihre Heimat. Und wenn sie sich entschließen auf dem Pfad des Widerstands zu laufen, hinterlassen sie der Zukunft ein großes Erbe.

Es ist wie Reinkarnation. Die Legenden werden wiederbelebt, in dieser Heimat werden immer mehr Leylas geboren. Und nachdem eine Leyla fällt, werden sofort tausend neue Leylas geboren. Dass was Leyla zu Leyla macht, ist der Moment, in dem sie Liebe und Freiheit vereint. Dieser Moment ist der Moment der Wiedergeburt einer ganzen Bevölkerung. 

Wir müssen die Geschichte der Leylas bis auf die Wurzeln erforschen. Nicht ganz so weit entfernt von unserer heutigen Zeit treffen wir auf einen wichtigen und tragischen Zeitpunkt, denn der Monat Mai ist der Monat an dem eine dieser Leylas hingerichtet wurde.

Auch am Galgen schallte ihr Widerstand ununterbrochen

Leyla Qasim wird zu einem Zeitpunkt geboren, an dem die KurdInnen durch falsche Grenzen zerteilt und somit in Vergessenheit gedrungen wurden. Sie war stur, sie war voller Gewissheit, sie war eine Rebellin – und das Wichtigste: Sie war verliebt in die Freiheit. Schon mit 22 Jahren war sie während ihres Soziologie Studiums eine echte militante Persönlichkeit.

„Mein Tod wird das Erwachen meines Volkes sein“, waren ihre Worte und die Geschichte beweist, dass sie recht hatte. Vom Norden bis in den Süden, vom Westen bis in den Osten sind tausende von Frauen erwacht um zusammen mit der Genossin Leyla den Weg zur Freiheit einzuschlagen. 

Die kurdische Frau mit Haaren wie die Nacht… Leyla Qasim. Sie wird 1952 in Xaneqîn als drittes Kind von Dalaho Qasim und Kanî Qasim geboren. Weil sie mitten in der Nacht geboren wurde, entschlossen sich ihre Eltern sie „Leyla“ zu nennen, was im Arabischen „Nacht“ bedeutet. Sie war die einzige Tochter einer armen Familie. Und so wie es vielen KurdInnen ging, wanderte auch ihre Familie oft aus. 1958 verlässt die Familie Xaneqîn und emigriert nach Bağdat.

„Sklaverei ist nicht das Schicksal des kurdischen Volkes“        

Nachdem Leyla Qasim in Bağdat ihr Abitur macht, schreibt sie sich an der Universität für Soziologie ein. Als sie 20 Jahre alt war, kam sie in Kontakt mit der YXK, der damaligen Studentenvereinigung Kurdistans. Zu dieser Zeit verfasste sie einen Artikel zu der „Kurdenfeindlichkeit“ Saddam Huseyins. Dieser Artikel macht sie zur Zielscheibe der Faschisten. Es war ein kritischer Zeitabschnitt für das kurdische Volk, als Leyla betont: „Sklaverei ist nicht das Schicksal des kurdischen Volkes“. Das waren ihre ersten Schritte als aktive Militantin, die am nationalen Befreiungskampf teilnahm. 

Der Plan der Flugzeugentführung

Im Frühling 1974 hat das Baath-Regime den Krieg gegen die KurdInnen begonnen. Sie vertrieben die kurdischen Familien aus Bağdat. Das irakische Regime bombardierte die Stadt Qeladîze. Infolge der Bombardierung verloren viele ZivilistInnen ihr Leben. Während diesen grausamen Geschehnissen wurde Leyla Qasim die Aufgabe erteilt ein Flugzeug zu entführen, um die Stimme des kurdischen Volkes auf der ganzen Welt erklingen zu lassen. Bei dem Versuch ein Flugzeug zu entführen wurde Leyla Qasim am 24.April 1974 zusammen mit 4 ihrer GenossInnen gefangen genommen. Leyla Qasim musste im Gefängnis eine Zeit voller Folter und unmenschlichen Prozeduren durchstehen. Durch den Befehl Saddams wurden die fünf MilitantInnen am 13. Mai 1974 am Galgen erhängt. 

Am Galgen sang sie „Ey Reqоp“

Es war Frühling. Die Natur blühte von Neuem auf während die Gerichtsverhandlung lief. Und es war der Zeitpunkt an dem Leyla Qasim, konfrontiert mit Henkern die ihren Tod sehen wollten, die Geschichte mir folgenden Worten bereicherte: „Bringt mich um, doch ihr solltet auch die Tatsache wissen, dass mit meinem Tod tausende von KurdInnen erwachen werden. Ich bin froh und stolz, dass ich mein Leben auf dem Weg der Freiheit von Kurdistan geopfert habe.“

Die Entscheidung des Gerichts war keine Andere als die Todesstrafe. Und während Leyla Qasim Richtung Galgen lief sang sie die kurdische Nationalhymne: „Ey Reqîp“.

„Macht Fahnen aus meinen geflochtenen Zöpfen“

Sie war gerade einmal 22 Jahre alt als sie hingerichtet wurde. Ihre Familie bekam keinerlei Informationen aus dem Gefängnis. Doch die Mutter schaffte es mit einem anderen Ausweis in das Ebu Greyb Gefängnis einzudringen und noch vor der Hinrichtung mit ihrer Tochter zu sprechen. Bei diesem Gespräch äußerte Leyla ihre letzten Wünsche:

„Meine schöne Mutter. Mach dir keine Sorgen. Ich bin nun ein verurteilter Mensch. Ich kämpfe für das kurdische Volk und Kurdistan. Gestern kam Saddam zusammen mit einer Gruppe hier hin. Er dachte ich würde von meinen Prinzipien abkommen, er dachte er könnte mich täuschen. Er hat mir sogar materielle Angebote gemacht, damit ich auf meinen Widerstand verzichte. Er versprach, dass ich an jeder beliebigen Schule Lehrerin sein könnte. Doch ich habe ihm gesagt, dass ich zu stolz bin um dieses Angebot anzunehmen und dass ich mein Volk nicht verkaufen würde. Ich sah wie schwach der große verrückte Saddam wurde, als ich erklärte, dass ich mich dem Fall von Kurdistan widme und ich der Hinrichtung auf Grund dieses Widerstandes voller Ehre entgegen stehe. Mutter, mit unserem Tod werden tausende KurdInnen erwachen, unsere Fahne der Freiheit wird im Winde wehen. Seid nicht traurig wenn ich sterbe, sie sollen Fahnen aus meinen geflochtenen Zöpfen machen.“

Sadiye Alî Ekberiyan, eine Kindheitsfreundin, beschrieb nach 43 Jahren Charakter Leyla Qasims folgendermaßen:

Leyla war eine furchtlose Frau. Sie war so mutvoll und zuversichtlich, dass sie selbst vor dem Tod keine Angst hatte. Sie wollte immer die Vorreiterin sein und vorne mitlaufen. Deshalb ist sie in ihrer kurdischen Tracht, mit der kurdischen Sprache und Kultur zum Galgen gegangen. Jedes Jahr gedenken wir sie als die erste kurdische Frau die am Galgen hingerichtet wurde. Die Frauen sehen sie als ihre große Vorreiterin und laufen nun ihren Weg. Um wahre Genossinnen von Leyla Qasim zu werden, müssen wir uns noch stärker organisieren und den Widerstand vergrößern. Dass was Leyla von uns will ist ja auch genau das. Je mehr wir als kurdische Frauen den Widerstand vergrößern, desto mehr werden wir dem Erbe Leyla Qasims gerecht.

Leyla Qasim ist ein lauter Aufschrei in der Geschichte des kurdischen Frauenkampfes. Nach ihrem Tod hört man diese Stimme noch in ganz Kurdistan. Sie ist so präsent, dass ihr sogar große Dichter wie Cigerxwîn Gedichte widmen:

Leyla

Şêr, şêr e, mêr e yan jin e

Nîşan bi dest, Leyla min e

Polaye dil wek asin e

Leyla kî ye?

Leyla jin e.

Leyla min e.

Leyla min e…

Leyla keça Mît û Meda

Canê xwe da di ber me da

Bijîn heçî ko canfida

Xweş bin ji te jar û geda

Leyla kî ye?

Leyla jin e.

Leyla min e.

Leyla min e…

Divêm li pey te bêm e jî

Çibkim bi vê jîna rijî ?

Xwînê nerejî napijî

Leyla bijî, Leyla bijî !