Frau Schaffen Leben

-Sema Erzîngan

Wenn du das Wort Natur hörst, welches Bild kommt dir als erstes in den Sinn? Ist es eine grüne Wiese, dichte Wälder? Sind es Gebirgsketten oder ein reißender Fluss? Wenn du das Wort Natur hörst, denkst du dann an eine Gesellschaft? Denkst du an Frauen oder an das Leben an sich? Die Verbindung zwischen Frau und Natur ist mittlerweile für die Mehrheit von uns kein völlig neues Thema mehr. Sei es in Texten von Rêber APO, in Videos oder in Gesprächen, irgendwo sind die meisten von uns schon einmal über die Verbundenheit der Frau mit dem Leben und ihrer Umwelt gestoßen. Allein im Hinblick auf seine Biologie, kann der Körper der Frau das Leben in sich tragen und gebären. Doch die Eigenschaften von Frauen und ihrer Funktion in der Gesellschaft, lassen sich nicht nur im Rahmen ihrer Physik verstehen. Geschichtlich betrachtet waren Frauen stets die organisatorische und moralische Kraft in natürlichen Gesellschaften. Die Gesellschaft als Ganzes war Teil ihrer Umwelt, sie war sich ihr bewusst und wusste auch, dass die eigene Existenz von ihr abhängt und sich in ihr widerspiegelt. Anstatt, dass Mensch und Natur, oder Gesellschaft und Natur, als zwei voneinander getrennte Phänomene gesehen werden, die nur in einer “Betrachter und betrachtet werden” Beziehung zueinander stehen, nahm die Gesellschaft ihren Platz in der Natur ein, da sie selbst aus ihr stammt. Aus diesem Grund vergleicht Rêber APO ihre Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft mit der zwischen Mutter und Kind.

Der Prozess der Sesshaftwerdung der Menschheit und die Entstehung der ersten sozialen Geflechte war maßgeblich von den Bedingungen der Natur Mesopotamiens beeinflusst. Entlang des Flussbetts von Dicle und Firat boten die fruchtbaren Böden den Menschen die Möglichkeit, sich kreativ zu entfalten und die eigene Denkkraft vorwärts zu bringen. Eine kollektive Identität bildete sich heraus und die Bausteine für das Leben als Gemeinschaft wurden gelegt, welche die Voraussetzung für die darauf folgenden menschlichen Fortschritte darstellten.

Die soziale Ökologie

Doch was sehen wir, wenn wir einen Blick auf unsere heutige Beziehung zur Natur, unserer eigentlichen Mutter, werfen? Würde ein Kind seiner Mutter die Dinge antun, welche die Menschheit der Natur tagtäglich zufügt? Das Verhältnis, welches wir mit unserer Umgebung haben, ist aus dem Gleichgewicht geraten. Es hat sich in einen sich selbst zerstörenden Organismus verwandelt. Dabei ist doch gerade die  Selbstverteidigung der eigenen Existenz die zentrale Eigenschaft eines jeden Lebewesens.

Selbstzerstörung, das heißt die Zerstörung der notwendigen Bedingungen des Lebens, widerspricht demnach jeglicher Logik des Universums.

Ist die Essenz eines jeden Lebewesen nicht, sich selbst und damit auch seine Umwelt vor der Vernichtung zu beschützen? Eine gesunde und gestärkte Natur bedeutet eine gesunde und gestärkte Gesellschaft. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch die soziale Ökologie. Die soziale Ökologie besagt, dass der Ursprung sämtlicher Zerstörung des Ökosystems in gesellschaftlichen Problemen zu finden ist.

Fehlt es einer Gesellschaft an moralischem Grundverständnis und einer eigenen Politik (Selbstverwaltung), ist sie nicht in der Lage, sich selbst zu erhalten und kann somit auch keine gesunde Beziehung zu ihrer Umgebung aufbauen. 

JINWAR-Verteidigung des Lebens

Die kapitalistische Moderne schlug einen Keil zwischen Gesellschaft und Natur und versucht nun die Mentalität des staatlich-herrschaftlichen Blicks stetig zu vertiefen. Um ein ökologisches Bewusstsein aufzubauen, muss also gleichzeitig auch ein soziales und kollektives Selbstverständnis gestärkt werden. Ein Schritt in Richtung der demokratischen Moderne wurde in Rojava/Nord-Ostsyrien gegangen. Die Themen der Befreiung der Frau, des ökologischen und kollektiven Lebens werden nicht getrennt, sondern als voneinander abhängig gesehen und demnach umgesetzt. Vor der Revolution vor 10 Jahren hatte das syrische Regime die Region für lange Zeit in Kantone eingeteilt und systematisch Monokulturen aufgebaut, welche das Ziel verfolgten, die Bevölkerung vom Regime abhängig zu machen und gleichzeitig von ihrer eigenen Erde zu trennen. Unter der Politik der einseitigen Bepflanzung litten die Böden von Rojava sehr und die Folgen dessen sind auch heute noch stark zu spüren.

Die Region ist generell äußerst stark vom Klimawandel betroffen. Gleichzeitig trägt die genozidale Politik des türkischen Staats (von riesigen Staudämmen bis hin zu täglichen Artilleriebeschuss und Einsatz verbotener Giftgase) zu wachsenden ökologischen Problemen bei.

Nichtsdestotrotz, findet in mitten alle dem die Revolution unseres Jahrhunderts statt, welche es sich zur Aufgabe genommen hat, die Herrschaft der männlichen Mentalität über die Natur ein Ende zu setzten.

Gerade Projekte wie das Frauen Dorf Jinwar sind einzigartige Beispiele, wie die Philosophie Rêber APO‘s in die Wirklichkeit umgesetzt wird. Jinwar kann auf vielen Ebenen als ein Ort der Selbstverteidigung gesehen werden.

Denn Selbstverteidigung ist nicht nur der Kampf mit der Waffe in der Hand.

Selbstverteidigung bedeutet die Rückkehr zur Mutter Natur. Es ist die Verteidigung des Lebens und jeden Aspekts, der dem Leben Sinn und Wert gibt.

„Fehlt es einer Gesellschaft an moralischem Grundverständnis und einer eigenen Politik (Selbstverwaltung), ist sie nicht in der Lage, sich selbst zu erhalten und kann somit auch keine gesunde Beziehung zu ihrer Umgebung aufbauen.“