Deqs – Die traditionell kurdischen Tätowierungen 

– Bêrîvan Îbîn

Die Praxis des Tätowierens ist mehrere tausend Jahre alt und wurde schon in  verschiedenen Teilen der Welt bei den unterschiedlichsten Völkern nachgewiesen. Man geht davon aus, dass sie sich bei diesen Völkern selbstständig und unabhängig voneinander entwickelt hat. Die ältesten überlieferten Tattoos stammen von einer über 5300 Jahre alten ägyptischen Mumie aus Oberägypten, bei der auf dem Oberarm ein Stier-und Schaf-Tattoo entdeckt wurde. [1] Auch bei der weltbekannten Gletschermumie Ötzi, welcher in Südtirol gefunden wurde und schützungsweise um die 5300 Jahre alt ist, hat man insgesamt 61 Tätowierungen gefunden.

In Mesopotamien, einer Kulturlandschaft, in der KurdInnen seit tausenden von Jahren leben, lassen sich ebenso Spuren finden für die Praxis des Tätowierens. Besonders in den heutigen Städten Şanlıurfa, Mardin und Diyarbakir findet man heute noch traditionelle TattooträgerInnen. AnthropologInnen schätzen diese traditionelle Tätowierkunst auf über 2000 Jahre. Diese traditionellen kurdischen Tattoos nennen sich Deq. Sie zieren sowohl die Körper von Frauen als auch die von Männern und finden sich auf dem Gesicht, an den Händen, an den Füßen, an der Brust und am Rücken wieder. Die Besonderheit dieser Deqs ist, dass sie kulturelle Überbleibsel einer langen Tradition darstellen, denn es gibt nur noch wenige Deq-TrägerInnen in den hiesigen Gebieten. Das könnte zum Teil damit zusammenhängen, dass die Deqs durch islamische Einflüsse als sündhaft eingestuft, abgewertet und teilweise verboten wurden. So verringerte sich nach und nach die Ausbreitung dieser Tätowierkunst. 

Deqs wurden traditionell mit mehreren zusammengebundenen Nadeln, der Muttermilch einer Frau, die eine Tochter geboren hat, und mit Ruß gestochen. Dabei wurde das Ruß und die Muttermilch zumeist auf die Haut platziert, manchmal mit Federn auf die Haut vorgezeichnet und dann mit den Nadeln in die Haut auf die vorbereiteten Stellen tätowiert. Einige Deq-TrägerInnen beschreiben den Prozess als schmerzhaft und den Heilungsprozess als anstrengend.

Der Anthropologe Ahmet Yavuklu, welcher zu Deqs forscht, erklärt, dass Deqs eine Form der Anbetung sind. “Die Deq-Motive sind oft von Wesen, Designs und Mustern inspiriert, die in der Natur zu sehen sind – wie Sonne, Mond, Sterne und sogar Weizen. Sie alle haben wichtige und symbolische Bedeutungen.“ [2]

Deqs überliefern viele Informationen über vergangene religiöse, mythologische, kulturelle und ästhetische Erkenntnisse und Ansichten, was besonders sichtbar wird an der Vielfalt der Symbole und Bedeutungen, die sie haben. Neben Symbolen von Himmelskörpern, gibt es auch Tiersymbole wie den Fisch, die Gazelle, den Skorpion oder Zugvögel. Auch botanische und biologische Symbole wie Baum, Blume und Zweige sind oftmals tätowiert. Ebenso finden sich geometrische Formen wie Kreise und Punkte wieder und Alltagsgegenstänge wie Knopf, Schere, Kamm und Schlüssel. Ein besonders interessantes Symbol, nämlich das des Spiegels, lässt auf mythologische Bezüge schließen. Der Folklorist Mümtaz Fırat, welcher jahrelang zu Deqs geforscht hat, schreibt in seinem Buch “Kaybolan İzler: Güneydoğu’da Geleneksel Dövme ya da Dek ve Dak“, dass das Spiegel-Symbol mit Weiblichkeit und den weiblichen hethitischen Göttinnen Ištuštaya und Papaya in Verbindung gebracht wurde. Der Spiegel gilt in der hethitischen Mythologie als die reinste Form des Verstehens und der Erkenntnis. Auch erwähnt Fırat, dass die verschiedenen Symbole sowohl ästhetische auch religiöse und kulturelle Funktionen innehatten. So galten beispielsweise die Tattoos als Schmuck und somit als Verschönerungsmerkmal oder sollten die religiösen Glaubenssätze der tätowierten Menschen markieren. Die Tätowierungen sind Hinweise für die Positionierung der Menschen in der Welt und mit ihrer Umwelt. Wie Yavuklu sagt, hängen Tätowierungen eng zusammen mit dem Selbstgefühl des Menschen und wie sich dieser auf andere Wesen – sowohl Menschen als auch Tiere – oder aber auch auf die Umwelt bezieht.[3] Deqs gewinnen heute wieder mehr an Bedeutung, denn immer mehr kurdische Menschen interessieren sich für sie und lassen sich die alten Deq-Symbole auf ihre Haut tätowieren. Zehra Doğan, eine bekannte junge kurdische Künstlerin beispielsweise, trägt ein Deq-Tattoo nach traditionellem Vorbild in ihrem Gesicht. Viele junge Deq-TrägerInnen, die oftmals in der Diaspora leben, beschreiben, dass sie diese uralte Praxis des Tätowierens weiterleben lassen möchten und dass es ihnen wichtig ist, in Verbindung zu bleiben mit  ihrer kurdischen Identität und diese, auch als ein politisches Statement, nach außen zu tragen. 


[1]https://www.sueddeutsche.de/wissen/menschheitsgeschichte-die-aeltesten-tattoos-der-welt-1.3892987

[2]https://www.aljazeera.com/features/longform/2023/1/8/deq-the-tattooist-preserving-the-ink-of-a-disappearing-culture

[3]https://www.aljazeera.com/features/longform/2023/1/8/deq-the-tattooist-preserving-the-ink-of-a-disappearing-culture