Halay Nights,Tattoos auf dem Arm- Ist das Kunst?

-Mizgîn Xweza

Du kennst doch bestimmt diese eine Kurdin. Du schaust auf ihre Instagram Seite. In ihrem Profil steht dick YAN MIRIN YAN AZADI und auf ihren Fotos strahlt ihr Lächeln, während sie hinter der Kurdistan-Fahne post. Du schaust genauer hin und entdeckst auf ihrem Handgelenk ein neues Tattoo mit dem Schriftzug Jin Jiyan Azadi. Du staunst. Sie scheint wirklich eine radikale Kurdin zu sein, die es mit der Verbundenheit zum eigenen Land ernst nimmt. Oder etwa nicht? Dir fällt auf, dass das diese Kurdin aus deiner Stadt ist, du sie aber noch nie auf einer Demo oder auf einer Veranstaltung gesehen hast. Du klickst auf ihre Story. Alle Fotos, die sie mit der Kurdistan-Fahne geschossen hat, sind bei ihr zu Hause. Nur am Samstag war sie wie es aussieht auf einer Halay-Night. Und was läuft im Hintergrund? Das Lied Kurdish Barbie von Helly Luv…

Was steckt hinter solchen Leuten? Man könnte denken, ach das sind doch nur einzelne Jugendliche, die sich halt nicht aufgerafft bekommen. Oder könntest du dir vorstellen, das da ein System hinter steckt? Ein System, das bewusst probiert, Jugendliche von einem revolutionären Weg abzubringen, sie einzuschläfern und somit gegen all die Angriffe auf Kurdistan unwirksam zu machen? Eigentlich liegt es auf der Hand, dass dort das System im Spiel ist. Wenn Erdogan vor den Augen der ganzen Welt ein gefälschtes der Gerîla hoch lädt, um seine WählerInnen zu manipulieren, kann man sich vorstellen, das im Hintergrund noch viel verrücktere Sachen passieren.

Kunst und Kultur sind wie der Spiegel einer Gesellschaft. Sie machen die Geschichte, die Werte und die Moral der Gesellschaft sichtbar, stellt sie dar. In der kurdischen Kultur findet man viele Merkmale, die heutzutage immernoch auf den großen Widerstandsgeist der KurdInnen, gerade der kurdischen Frauen, darstellen. Eyşe Xan, eine Legende der Dengbejî (kurdisch traditioneller Sprechgesang), wurde auch “die Königin ohne Krone” genannt. Denn sie wurde nicht durch schönen Aussehen berühmt, sondern durch ihre Stimme, durch ihren inneren Wert. Viele Sachen, die uns heute wortwörtlich als Kunst verkauft werden, haben nichts mit der eigentlichen Bedeutung von Kunst zu tun. Anstatt mit der Kunst Werte zu erschaffen, und beispielsweise einen Beitrag zur Geschichte und Kultur Kurdistans zu leisten, wird Kunst, Musik und Medien genutzt, um die Geschichte zu verdrehen und uns von ihr zu trennen. Kulturen, Symbole oder Traditionen werden sinnentleert, damit wir eben nicht zu Königinnen werden, sondern im Rad des Systems mitdrehen. Schauen wir uns einige Beispiele an:

Tattoos:

Gibt es nicht den Spruch “es ist nicht wichtig was draufsteht, sondern was drinnen ist”? So verhält es sich auch bei Tattoos. Viele Jugendliche sind jung und wollen sich ausdrücken, wollen ihre Zugehörigkeit mit ihrer Heimat aufzeigen und tätowieren sich daher revolutionäre Sprüche oder Symbole. Danach bekommen sie das Gefühl, sich ganz stark mit der Revolution verbunden zu haben. Doch wie tief ist diese Verbindung? Lebst du wirklich nach dem Spruch, der auf deinem Handgelenk steht? Lässt sich die Liebe zu etwas wirklich mit so einfachen Dingen, wie einem Symbol auf der Haut ausdrücken? Okay, auch in der kurdischen Kultur gibt es Deq, ein Tattoo, das zur Ehrung von Frauen diente. Doch dort ist eine tiefe, kulturelle und rituelle Grundlage vorhanden. Die Frauen leben nach einer Philosohie, und gestalten ihren Körper danach. Heute soll das andersrum funktionieren. Du tätowierst dir etwas, in der Hoffnung, dass dein Charakter sich danach bildet. Jugendliche zerbrechen sich heutzutage tagelang den Kopf. Was soll ich tätowieren? Wo soll es sein? Wie groß, wie dick, wie lang? Dazu sammeln sie noch all ihr Erspartes, denn Tattoos sind teuer geworden. Hätten sie diese Zeit genutzt, um einer Frau in Not zu helfen, oder eine Aktion zu planen, hätten sie Jin Jiyan Azadi gelebt, anstatt es nur zu schreiben.

Halay-Nights:

Bestimmt hast du schonmal davon gehört, dass in größeren Städten sogenannte Halay-Nights, also kurdische Tanz-Nächte stattfinden. Dort sieht man junge Frauen mit schwerem Make-Up, den kürzesten Röcken, Higheels, die wackelig 4 Schritte vor und zurück tanzen. In ihren Augen sieht man eine große Unsicherheit. Denn der eigentliche Zweck der Halay-Nights ist nicht die Ausübung von kurdischer Kultur. Männer jagen jungen Frauen hinterher, Jugendliche betrinken sich und machen Videos für die Social-Media Accounts. Hat das noch was mit der tausend Jahre alten Govend-Kultur zutun? Govend ist ursprünglich ein Ausdruck der Verteidigung der Gesellschaft. Von kämpferischen Govends, die wie eine Kriegsübung waren, bis zu bäuerlichen Govends, die die Bewegungen der Ernte nachahmen – immer drückte Govend die Werte der Gesellschaft aus. Im Gegensatz dazu dienen Halay-Nights eher dazu, die Jugendlichen von aller Moral zu trennen, Frauen zu einem Objekt zu machen, das sich wie auf einer Werbefläche präsentiert.  Jede sollte sich natürlich anziehen, wie sie möchte und so tanzen, wie sie möchte– aber wir sollten hinterfragen, wieso diese jungen Frauen sich so präsentieren wollen. Da steckt das Patriarchat dahinter, dass die Frau von ihrer eigentlichen kämpferischen Rolle in der Gesellschaft trennt uns sie zu einem Verkaufsobjekt werden lässt. Das schlimmste ist, wenn sie so von diesen Gedanken beeinflusst ist, das sie sich selbst freiwillig zum Verkauf stellt.

Musik:

Helly Luv ist das beste Beispiel von einer Frau, die anti-revolutionär ist und deren Videos danach schreien, ebenfalls so zu werden. Schaut es euch am Besten selber an. Sie nennt sich selber „Kurdish Barbie“, singt über Revolution und die Rechte aller Menschen. Sie läuft in ihren Videos mit goldenen Highheels neben weinenden Kindern und zerbombten Häusern entlang. Sie schmeißt sich dramatisch auf den Boden und flüstert dabei melancholisch „Jin Jiyan Azadî“. Was soll uns das zeigen? Die Rolle einer Frau in der Revolution ist es, trotz allem Krieg gut auszusehen und eine Show zu machen, das reicht. Die richtige Schminke und ein richtiges Outfit macht eine Frau zu einer Revolutionärin.

Wir sehen also, dass gerade durch die Kunst heute ein großer Spezialkrieg speziell gegen Kurdinnen geführt wird. Das System würde alles dafür tun, dich mit solchen oberflächlichen Sachen zu beschäftigen, damit sie eben nicht zu Königinnen ohne Krone werden. Sollen die doch die Krone aufziehen, aber ein klassisches Leben führen, an das sich in hundert Jahren niemand mehr erinnert. Das Sytem will heute immernoch die widerständige und reiche kurdische Kultur auslöschen. Und das System weiß – den größten Reflex zur Verteidigung hat die Frau. Es ist unsere Aufgabe als junge Frauen, sich über diese Fallen und Tricks bewusst zu werden und Alternativen zu finden. Vielleicht wird es an der Zeit, auch den eigenen Alltag und die Verbindung zur kurdischen Kunst und Kultur zu hinterfragen, aus dem Schönheitsschlaf zu erwachen und aktiv zu werden!