Hormone – Emotionen – Gesellschaften

– Bêritan Têkoşîn

„Wenn der Körper verrückt spielt“ oder „Warum Frauen so launisch sind“… Das ist nur ein Ausschnitt dessen, was wir finden, wenn wir die Worte „Frau“ und „Hormone“ zusammen in die Suchmaschine eingeben. Und nicht nur die Klatschblätter bedienen diese Klischees, generell wirkt es als würde der Frage der Hormone der Frau nur nachgegangen werden, um „biologische Beweise“ zu liefern für das irrationale Verhalten, die Schwäche und Unzurechnungsfähigkeit der Frau, die eines starken Mannes bedarf um nicht zu verzweifeln. Es wirkt wie der Versuch einer Rechtfertigung der ungleichen Behandlung von Frauen, die „halt nicht zurechnungsfähig sind“.

Doch statt verkürzt zu behaupten, dass Hormone keine Rolle spielen, wenn es um unsere Gefühle und Verhalten geht, braucht es eine Auseinandersetzung, die nicht von einem patriarchalen Blick und Interesse geprägt ist. 

Ein Beispiel

Jahrelang war es wissenschaftlicher Konsens, dass Menschen auf Stresssituationen mit „fight“ oder „flight“ reagieren. Dies lässt sich jedoch nicht auf die Frau übertragen.

Wo der Mann die Wahl hat zwischen Kampf und Flucht, also einer zerstörenden oder vermeidenden Art, zeigen Frauen nämlich einen dritten Weg auf: „tend and befriend“ (sich kümmern und anschließen).

Oxytocin ist das Hormon, welches bei dieser Reaktion freigesetzt wird. Es führt dazu, dass wir uns mitfühlender und sozialer verhalten – wir wollen uns und unsere Gruppe beschützen und ihr Überleben sichern statt auf Zerstörung oder Flucht zu setzen.

Die Freisetzung von Oxytocin führt zur verstärkten Sorge um die Mitglieder der Gruppe und den Wunsch sie zu beschützen; es führt dazu, dass wir nach Gemeinsamkeiten mit dem Gegenüber suchen und soziale Netzwerke ausbauen.

Mit dem „fight or flight“ Ansatz hätten die Menschen vermutlich vor Jahrtausenden aufgehört zu existieren. Das was Gesellschaften im Innersten zusammenhält ist die Fähigkeit der Menschen sich um einander zu kümmern.

Hormone lösen Gefühle aus

Was sind Hormone eigentlich? Hormone sind Botenstoffe unseres Körpers, sie steuern und beeinflussen körperliche Funktionen wie das Wachstum, die Verdauung und die Fortpflanzung.Außerdem sind Hormone die Grundlage unserer Emotionen und bestimmen damit auch maßgeblich unser Verhalten mit. Wenn wir also besser verstehen wollen warum wir sind, wie wir sind, lohnt sich ein Blick auf die mikrobiologische Ebene unseres Körpers.

Hormone lösen auch genau die Gefühle aus, die uns zu sozialen Wesen machen, die uns pro-sozial und im Interesse anderer Menschen handeln lassen.

Die steigenden und sinkende Konzentrationen verschiedener Hormone während des Zyklus der Frau sind der Grund dafür, dass innerhalb kürzester Zeit die verschiedensten Gefühle durchlebt werden. So führt zum Beispiel der Anstieg bestimmter Geschlechtshormone vor dem Einsetzen der Menstruation zu einem Abfall des „Glückshormons“ Serotonin, was sich negativ auf die Stimmung auswirkt. Generell scheinen besonders Schwankungen des Östrogenspiegels (ein Geschlechtshormon) dazu zu führen, dass Emotionen verstärkt wahrgenommen werden – und zwar nicht nur die eigenen. Die plump klingende Aussage, Frauen seien (während ihrer Menstruation) eben „emotionaler“ bringt es also eigentlich gut auf den Punkt.

In organisierter Form führt große Emotionalität dazu, dass wir aufmerksam und bewusst leben.  Die entscheidende Frage ist, wie organisiert wir sind: Tappen wir in die Falle des Patriarchats und lassen zu, dass diese Emotionalität unorganisiert zum Chaos führt?

Diese Auslegung ist ein Angriff auf die Rolle der Frau als Vorreiterin der Gesellschaft. Denn unsere Emotionalität und Empathiefähigkeit sind das, was seit Jahrtausenden Gesellschaften kreiert, zusammenhält und schützt. Wir können uns in Menschen besser hineinversetzen, sie verstehen und helfen, sich weiterzuentwickeln. Darauf basiert die engere Verbindung zwischen uns als Frauen. Dazu teilen wir eine 5000-jährige Widerstandsgeschichte, und haben währenddessen unsere Verbindung zur Mutternatur nicht komplett verloren. Wichtig also ist es, diese Fähigkeit als Stärke, als positive Energie zu begreifen, und entsprechend zu handeln. Das Geschaffene metaphysische nennen wir Jinerjî.

Nutzen wir die Jinerjî organisiert im Kampf wird es das, was unsere Gesellschaft dieses Jahrhundert zur Demokratie führen wird.