Radikaler Frauenkampf und Gesetzestreue ?! – Das geht nicht zusammen

Als Kind habe ich in den Sommerferien viele Bücher gelesen. Die meisten las ich aber nie zu Ende, da sie mich schnell langweilten. Selbst die Bestseller sagten mir selten zu. Nach ca. 100 Seiten über den bebrillten Zauberlehrling mit der Narbe auf der Stirn wollte ich schon fast das Lesen aufgeben. Doch den Roman „Die Rote Zora und ihre Bande“ habe ich regelrecht verschlungen. Es war spannend, dass zur Abwechslung ein Mädchen eine Gruppe von männlichen (Waisen-)Kindern anführte. Ich fand es cool, wie die rote Zora sich durch die Straße schlug und die versnobten Kinder auf dem Gymnasium verprügelte. Von der Figur des rebellischen Waisenmädchens konnte ich mehr abgewinnen als von den anderen klassischen Kinderromanfiguren, die meist männlich waren und in einer heilen Welt lebten. Der Roman zeigte nämlich die Realität der Gesellschaft gekonnt wieder, indem er beschreibt, wie die Bürger der Stadt die Waisenkinder wie Ausgestoßene behandeln, und dass den Kindern deshalb nichts anderes übrig bleibt als Kleinkriminell zu werden. Die Rote Zora hat etwas Bissiges und Anarchistisches an sich. Als Kind wollte ich einfach so sein wie sie. Dann wird man aber schnell älter und vergisst seine Kindheitsidole.

Die rote Zora hatte ich fast vollkommen vergessen, bis ich ca. 8 Jahre später mit der Schule im Kino war. Ich hatte gar nicht nachgefragt welche Filmvorführung wir uns ansehen werden. Ich war nur Happy, dass der Schulunterricht ausfiel. Nach gut 20 Minuten checkte ich endlich, dass es eine (schlechte) Verfilmung über die RAF (Rote Armee Fraktion, linksextremistische Gruppe 1970-1998) war. Ich hatte zuvor nur oberflächlich etwas über die RAF gelesen, also fing ich an mich mehr mit der Materie auseinanderzusetzen. Sprich, ich fing an zu googeln. Ein paar Klicks und Links später ploppte irgendwo in Verbindung mit der RAF der Name Rote Zora auf. Ich war überrascht den Namen wieder zu lesen aber nicht verwundert, denn bereits als Kind assoziierte ich mit der Romanfigur, die Rote Zora, Rebellion gegen das spießige Bürgertum. Darum wunderte es mich nicht, dass sich eine antikapitalistisch-feministische Gruppe nach der Romanfigur benannt hat. Dies war eine der Gründe warum ich mehr über die Gruppe Rote Zora in Erfahrung bringen wollte. Ich war froh, dass ich auf ein Interview mit der roten Zora aus dem Jahr 1984 stieß, denn dies war allemal eine authentischere Informationsquelle als Wikipedia. Zudem fand ich im Archiv alte Titelblätter, Radiointerview-Fragmente und einige Infos aus einem älteren Verfassungsschutzbericht. Interessant ist auch, dass ich nicht eher über die Rote Zora etwas gehört habe und es generell wenig Infomaterial über die Rote Zora gibt. Die Öffentlichkeit gab der Roten Zora nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdiente. Denn die Medien wurden staatlicherseits mit dem Ziel verfolgt, öffentliche Diskussionen über die Aktionen und Anliegen der Roten Zora zu unterbinden.

Bevor ich mehr über die Rote Zora erzähle, sollte man sich vorab ein paar allgemeine Fakten reinziehen, um vor allem auch die Verbindungen der Roten Zora mit der RAF und der Gruppe Revolutionäre Zellen nachzuvollziehen. Die RAF war das Ergebnis der Radikalisierung der 68er Bewegung. Die 68er Bewegung war kurz gesagt eine linksgerichtete soziale Bewegung, die in den 1960er Jahren in verschiedenen Ländern aktiv wurde und besonders das Jahr 1968 prägte. In Deutschland entstand durch diese 68er Bewegung, die militante Gruppe, Rote Armee Fraktion (RAF). Die RAF startete 1972 ihre erste militärische Aktion, Ende des Jahres befanden sich die bekannten Köpfe der RAF allesamt in Haft. Weil die Führungskader der RAF im Knast waren, stellte sich nun die Frage wie man weiter macht und was man daraus lernen kann. Daraus gründete sich die eigenständige Kleingruppe Revolutionäre Zellen, mit dem Wissen, dass der beste Schutz vor Haft die vollständige Anonymität ihrer Mitglieder ist. Dies ermöglichte den anonymen militanten Mitgliedern der Gruppe, an Diskussionen und legalen Bewegungen der radikalen Linken weiterhin teilzunehmen, und somit auch die Fahndung des Staates ins Leere laufen zu lassen. Die Revolutionären Zellen wollten nämlich im Vergleich zur RAF aus der Legalität heraus operieren und vor allem gab es keine öffentliche Auftritte der Gruppe der Mitglieder der Revolutionäre Zellen. Diese Strategie erleichterte ihnen das Untertauchen. Als 1973 die Revolutionären Zellen ihre Aktivitäten starteten, konnten sie auf die Erfahrung der RAF zurückgreifen. Und die Rote Zora war eine Frauengruppe, die sich in diesem Zusammenhang organisierte. Es ist auch kein Zufall, dass die Revolutionären Zellen und die Rote Zora den selben Kürzel haben, denn die Rote Zora und die Gruppe Revolutionären Zellen haben das selbe Konzept. Sich legale sowie illegale Strukturen aufzubauen und gleichzeitig der staatlichen Verfolgung zu entgehen. Und natürlich hatten sie auch die selben Grundsätze. Kurz gesagt, Die rote Zora agierte als Frauengruppe autonom. Es gab auch gemeinsame Aktionen beider Gruppen, der Revolutionäre Zellen sowie der Roten Zora. So viel zum historischen Background und der Verbindung zu anderen militanten Gruppen.

Zum ersten Mal tauchte die Rote Zora 1975 auf und zwar mit einer Sprengstoffaktion. Ihr Ziel war das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Hintergrund war die frauenfeindliche Abtreibungspolitik. Denn die Rote Zora richtete sich vor allem gegen Frauenfeindliche Einrichtungen. Sextourismus, Frauenhandel, Gen und Reproduktionstechnologie – waren ihre Themen, naja besser gesagt ihre Aktionsziele. Die rote Zora beließ es nicht nur bei leeren Worten, wie viele andere Organisationen, sondern agierte militant. Zu bis zu 45 Aktionen hat sich die Rote Zora bekannt. Laut Interview gab es in der Roten Zora zwischen 20 und 51 Frauen, die aus unterschiedlichen Lebensverhältnissen kamen. Ins Visier nahmen sie die Mädchenhändler, Sexshops und Gentechniker. Sie richteten sich gegen die Frau als Sexobjekt und Gebärmaschine. Ich find es auch stark, dass sie im Vergleich zu anderen FrauenTransLesben-Gruppen, militant und sozialrevolutionär waren und sich nicht wie die vielen anderen feministische Gruppen in akademischen Diskursen verloren. Zudem konnte ich mich besser mit der Roten Zora identifizieren, da sie ebenso wie die kurdische Befreiungsbewegung den Staat radikal kritisieren. Aber nicht ganz so offensiv wie es die RAF es tat und die PKK es tut. Parallelen zum kurdischen Frauenfreiheitskampf sehe ich auch, dass die Rote Zora den Frauenkampf umfassend betrachtete und gegen jede Form der Unterdrückung, Ausbeutung, Zerstörung kämpfte. Sie beschränkten sich eben nicht nur auf direkter, augenscheinlicher Frauenunterdrückung. Sie erkannten schnell, dass mal als Frau ebenso von den gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen insgesamt betroffen ist, ob es sich nun um Umweltzerstörung handelt oder um kapitalistische Produktionsformen. Damit ihr euch einen kurzen Überblick über die Aktionen der Roten Zora verschaffen und zugleich mehr über die Haltung der Frauen erfahren könnt, liest sich am besten der folgender Ausschnitt aus dem Interview mit der Roten Zora: „Eigentlich sollte täglich einer dieser Pornoläden brennen oder verwüstet werden! Also: wir halten es für eine absolute Notwendigkeit, die Ausbeutung der Frau als Sexualobjekt und Kinderproduzentin aus dem Privatbereich herauszureißen und mit Feuer und Flamme unsere Wut und unseren Zorn darüber zu zeigen. (…) Deshalb haben wir z.B. die Prachtschlitten der Anwälte vom Miethai Kaußen angezündet, die für eine ganze Reihe brutaler Häuserräumungen verantwortlich waren. (…) Unsere letzten Anschläge richteten sich gegen Siemens und die Computerfirma Nixdorf. Sie treiben mit der Entwicklung neuer Herrschaftstechnologien immer ausgeklügeltere Möglichkeiten der Kriegsproduktion und der Widerstandsbekämpfung voran.“

Die Mitglieder der roten Zora lebten so lange wie möglich in der Legalität. Der Schritt in den Untergrund war das letzte Mittel. Die Bundesanwaltschaft tappte lange Zeit im Dunkeln und kam der roten Zora nicht auf die Schliche. Erst 1987, da gab es die rote Zora schon 12 Jahre lang, kam es bundesweit zur Hausdurchsuchungen und der Festnahme einiger Frauen. Mehrere gingen in den Untergrund und werden teilweise noch gesucht. Erstaunt war ich auch als ich las, dass sich die letzte Aktion der Roten Zora gegen einen Rüstungslieferanten richtete, die das türkische Regime belieferte. In ihrer Erklärung zum Sprengstoffanschlag bekundete die Rote Zora ihre Solidarität mit der PKK und äußerste sich wie folgt bezüglich der kurdischen Frauenbewegung: “Selbst über die faktische Ausradierung von tausenden Dörfern gelingt es dem türkischen Regime bis heute nur schwer, den Widerstand der KurdInnen zu zerschlagen. Die Frauenstärke konnte bisher nicht zerstört werden.“ Die rote Zora mag sich Mitte der 90er aufgelöst haben, aber ihre militante und solidarische Haltung haben die Frauen der roten Zora nie aufgegeben. Dies zeigte sich unter anderem 2007, als Adrienne Gerhäuser, die 20 Jahre im Untergrund gelebt hat, wegen der Mitgliedschaft bei der Roten Zora vor Gericht stand. Sie distanzierte sich weder von ihren Taten noch hatte sie ihre Genossinnen belastet. Im Gegenteil. Sie erklärte vor Gericht, dass sie wissen-, und willentlich der roten Zora beigetreten ist.

Nun haben nicht nur die Frauen in der Roten Zora, sondern zahlreiche historische Persönlichkeiten vieles für die Frauenbewegung erreicht. Aber wenn es bis heute keine abschreckende Wirkung hat, wenn ein Mann Frauen verkauft, sondern wenn sein Auto brennt, dann sind wir lange nicht am Ziel. Hey, es ist kein männliches Vorrecht sich außerhalb der Gesetzte zu bewegen und Banden zu bilden. Auch wenn es sich vielleicht abwegig anhören mag, sollten wir uns für den Anfang die Romanfigur, die rote Zora, als Vorbild nehmen. Es scheint als hätten wir nicht mal die Grundhaltung einer fiktiven Romanfigur vorzuweisen. Der Kinderroman sowie die militante Frauengruppe der 68er Bewegung, bieten dabei für uns eine Zukunftsperspektive. Vielleicht müssen wir uns auch zu „Banditinnen“ zusammenrotten und für unsere Würde und unser Menschsein kämpfen. Wir dürfen uns nicht länger gegeneinander ausspielen lassen. Gesetze, Recht und Ordnung sind grundsätzlich gegen uns. Ich meine es ist legal, dass Frauen auf öffentlicher Straße verkauft werden und zur Prostitution gezwungen werden. Alle Gewaltverhältnisse, die wir nicht länger bereit sind zu ertragen und hinzunehmen, die nicht allein dadurch abzuschaffen sind, dass wir sie anprangern. Der legale Weg ist dann ganz einfach nicht mehr ausreichend. Radikaler Frauenkampf und Gesetzestreue – das geht nicht zusammen. Deshalb kann ich nur die Gedanken der Frauen der Roten Zora teilen: „Unterdrückung wird erst sichtbar durch Widerstand. Deswegen sabotieren, boykottieren wir, rächen uns für erfahrene Gewalt und Erniedrigung, indem wir die Verantwortlichen angreifen. Unser Traum ist es, dass es überall kleine Frauenbanden gibt.“

-Nûjîn Tolhildan