Zeynep Kınacı (Hevala Zîlan)

Zeynep Kınacı kam 1972 im Dorf Elmalı bei Meletî (Malatya) zur Welt. In ihrer Schulzeit breiteten sich unter den Jugendlichen Sympathien für den kurdischen Befreiungskampf aus. Zeyneps Interesse für Politik begann während ihrer Zeit am Gymnasium. Hier entwickelte sie Sympathien für die Linke und die kurdische Bewegung und im Laufe ihres Studiums für die PKK. Nach dem Studium der Fächer Tourismus und Psychologie an der Inönü-Universität in Meletî arbeitete sie in der Staatsklinik als medizinisch-technische

Assistentin. 1994 trat sie der Bewegung bei und war ein Jahr in der Volksarbeit in Adana tätig. An der Universität lernte sie auch ihren Verlobten kennen, der bei der Organisierungsarbeit 1995 verhaftet wurde. Im selben Jahr wählte sie den Namen Zîlan und schloss sich den ARGK-Guerillakräften in der Region

Dêrsîm (Tunceli) an.

Hier lernte Hevala Zîlan sich selbst kennen und konnte schnell ihre Persönlichkeit entwickeln. Das führte zu der ihr eigenen Kraft, Entschlossenheit und Klarheit. Sie setzte sich mit den Erfolgen und Niederlagen verschiedener Revolutionen auseinander, wobei sie sich zunehmend mit dem Sozialismusverständnisder PKK identifizierte.

Am 30. Juni 1996 fiel Hevala Zîlan, als sie sich inmitten einer Militärparade im Stadtzentrum von Dêrsîm in die Luft sprengte.

Unter der Überschrift „Zîlan – dieser Name steht für die bedingungslose Freiheit“ bewertet Leyla Deryagul  die Aktion von Hevala Zîlan und ihre Bedeutung aus der Sicht kurdischer Frauen folgendermaßen: „Zeynep Kinaci, eine ARGK-Guerilla, die sich selbst den Kampfnamen Zîlan auswählte, verwirklichte am 30. Juni 1996 während einer Militärparade den ersten Selbstmordangriff in Dêrsîm. Für Europäer und Nichtkurden scheint es grausam und qualvoll, wenn sich eine 25jährige Frau mit mehreren Kilo TNT in die Luft sprengt. Diejenigen aber, die den Preis der Freiheit und Unabhängigkeit aus eigener Erfahrung kennen, werden Zîlan verstehen und rufen sie daher als Freiheitsgöttin aus. Zîlan steht für die bedingungslose Aufopferung für die Freiheit. Der Name Zîlan, ein traditioneller Name kurdischer Frauen, hatte bis zum 30. Juni 1996 nur eine gewöhnliche Bedeutung. Heute aber tragen Tausende von neugeborenen Mädchen und Guerilleras diesen Namen. Zîlan ist der Aufruf zur Phase der endgültigen Befreiung. Zîlan und ihre Aktion sind Resultate der tragischen Verfolgungsgeschichte des kurdischen Volkes. So tief die Unterdrückung und Erniedrigung eines Volkes durch eine Fremdmacht ist, um so gewaltiger und atemberaubender müssen seine Widerstandsformen sein. (…)

Hätte Mazlum Dogan am 21. März 1982 im Gefängnis von Amed (Diyarbakir) durch seine Selbstverbrennung nicht den Ruf gegen Verrat und Angst vor dem Feind ausgeschrieen, hätten die meisten Insassen des Gefängnisses die Widerstandswelle nicht emportragen können. Mazlum Dogan sah als ZKMitglied der PKK die quantitative Überlegenheit des Feindes und die geringe Erfahrung seiner Freunde im Bereich des Widerstands im Gefängnis. Es war die Zeit der Militärjunta – die Zeit der grausamsten Unterdrückung und Verfolgung. Mazlums Selbstverbrennung bewirkte ein erneutes Aufflammen des Widerstandes. In dieser Zeit entstanden Gedichte, Romane und Lieder der Auferstehung. Um die in den Köpfen riesig erscheinenden Feinde und die damit verbundene Angst zu besiegen, war Mazlums Tat ein historischer Akt. Sein Resultat ist das heutige nationale Wiederaufleben. Ihm folgten Zekiye Alkan mit ihrer Selbstverbrennung am 21. März 1991 in Diyarbakir, Rahşan Demirel am  21. März 1992 in Izmir, Ronahî und Bêrîvan am 21. März 1994 in Mannheim. Sie alle benutzten die mächtigste Waffe gegen die Feinde der Menschheit: ihren eigenen Leib, ihr Leben. Sie gehören zu jenen, die in die kurdische Geschichte eingegangen sind. (…) Zîlan, Zekiye und alle anderen Heldinnen und Helden unserer Geschichte leben. Sie leben weiter, weil ihre hinterlassenen Worte und Erinnerungen dem jetzigen Kampf die Energie und den Willen verleihen. Durch ihren Mut und ihre Überzeugung schuf Zîlan eine neue Art des kurdischen Widerstandes. Die Zeilen und Sätze, die diese Kämpferin hinterließ, brachten ihre Bescheidenheit zum Ausdruck. Zîlan schrieb u. a.: „Ich möchte der Ausdruck des Freiheitskampfes meines Volkes sein.“ Der Preis dafür ist aus der Sicht vieler Menschen das Undenkbare.

Kurz vor ihrer Aktion hinterließ Zîlan mehrere Briefe. In einem, der an die Öffentlichkeit gerichtet war, bringt sie die historische Notwendigkeit ihrer Aktion zum Ausdruck:

„ … Ein Volk, dessen nationale Werte, dessen Seele, Bewusstsein und Identität dem Feind ausgeliefert ist, zum Widerstand aufzurichten, erfordert eine große Verantwortung, geschichtliches Bewußtsein genauso wie Kühnheit und festen Entschluss.“

In Kurdistan mußten und müssen außergewöhnliche Taten vollbracht werden, um den Befreiungskampf zu beschleunigen und qualitativ neue Phasen zu starten. Alle außergewöhnlichen Aufopferungen der Helden und Heldinnen fanden zu den Zeiten statt, in denen sich die Gefahr der Normalisierung eines

Kriegszustandes anzeigte. Für die Revolutionen ist die Akzeptanz des Krieges als Normalzustand das Signal der Überlegenheit des Feindes. Die Revolution in Kurdistan erfordert aufgrund der äußeren Bedingungen, der strategischen Lage und der neuen Weltkonstellation einen langwierigen Kampf. Qualitativ und quantitativ gesehen ist heute die kurdische Befreiungsbewegung die einzig existente organisierte revolutionäre Massenbewegung.

Die Freiheitsbewegung Kurdistans hat sich verpflichtet, auch für jene zu kämpfen, die weltweit aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen zu verelenden drohen. Dies macht Zîlan in den Schlußsätzen eines ihrer Briefe deutlich: ‘Mein Lebenswille ist stark. Mein Wunsch ist ein erfülltes Leben durch eine große Aktion. Der Grund für diese Aktion ist meine Liebe zu den Menschen und zum Leben.’

-Leyla Deryagül