-Arjîn Xerzan
Fedaî zu sein bedeutet, die Wahrheit bis zum Schluss zu verstehen und zu leben – somit das ganze Leben dem Suchen der Wahrheit und dem Kampf für die Wahrheit Rêber APOs zu widmen.
Es hat Angst vor dem Tod, wer Angst vor dem Leben hat.
Die Angst vor Leben und Tod wurde durch die tiefe Versklavung des Menschen über Tausende von Jahren erschaffen und hat die Gesellschaft fast bis in ihr letztes Atom gespalten. Damit wurde das größte Verbrechen in der Geschichte der Erde begangen. Die Fesseln, an denen wir hängen, sind schon lange nicht mehr nur ein stechender Schmerz an einer Stelle, sie wurden zu einer Zelle der Isolation ohne Gitterstäbe. Wir können uns bewegen und schauen, was in unserer Umgebung ist und doch bleibt es unsichtbar. Der dichte Nebel in unserem Geist ist es, der uns nicht sehen lässt.
Für die klare Sicht müssen wir kämpfen. Auf dem Weg zur Freiheit wird sich nämlich auch unsere Sicht klären. Vor diesem Weg sollten wir keine Angst haben.
Das tiefste Gesetz des Universums ist es, dass jedes einzelne Atom nach Freiheit strebt. Es ist also eine Notwendigkeit, sich ständig für die Freiheit zu entscheiden. Teil dieser Freiheit ist es, einen freien Willen zu entwickeln; dies wiederum bedeutet, sich entgegen dem Faschismus immer für die Gesellschaft, für die Menschheit und für das Leben zu entscheiden. Unser Gesellschaftssein ist, so wie die Quanten als fundamentalste Einheit unseres Universums, unzerstörbar. Der Faschismus hat es geschafft, das Atom zu spalten, doch das, was dem Menschen und dem Universum als grundlegendster Bestandteil zueigen ist, das Quantum, ist unzerteilbar.
Weil das System nicht schafft, unser Gesellschaftssein vollständig zu zerstören, nimmt es unseren freien Willen stattdessen als Ziel und will uns die Entscheidung über den Kampf um das freie Leben nehmen. Das System, in dem wir heute leben, gibt uns den Anschein, es gäbe keine Wahl, bei der wir uns für die Menschheit entscheiden könnten. Nur ein ICH statt ein WIR. Es lässt uns denken, die Gesellschaft stände unserer Freiheit und einem glücklichen Leben im Wege. Doch eigentlich ist es das gesellschaftliche Leben, das unser Leben lebensreich macht.
Die Seiten eines Epos schreiben
Als Rêber APO sagte: „Ihr habt im Leben verloren“, haben wir den Auftrag des Jahrhunderts erhalten: Die Menschlichkeit und das Leben zurück zu erkämpfen. Mit diesem Kampf begann vor 50 Jahren die kurdische Freiheitsbewegung. Mit einem Fedaî-Geist erkämpft die Freiheitsbewegung das Leben wieder.
Was aber bedeutet Fedaî? Es ist eine Hingabe der Liebe zum Leben. Eine Hingabe, die sich aus dem tiefen Willen zur Freiheit entwickelt. Rêber APO öffnet uns mit dem Paradigma, welches auf Ökologie, Basisdemokratie und Frauenbefreiung basiert, den Weg zur Freiheit. Rêber APOs unermüdlicher Kampf für das freie Leben zeigt uns, in welcher Tiefe er die Wahrheit des Lebens begriffen hat und seine Liebe zum Leben entwickelt ist. Es geht im Kampf nicht nur darum, die Angst vor dem Leben zu überwinden, sondern noch einen Schritt weiter zu gehen: Das Leben zu erkämpfen, dessen Wahrheit zu finden und es mit großer Bedeutung zu füllen. Daher ist es auch an der Zeit, dass wir uns fragen: WIE LEBEN?
Für eine Antwort darauf und um der Wahrheit näher zu kommen, folgen wir den Spuren unserer FreundInnen. „Es gibt Frauen, wie Sema und Viyan, die ihre Körper gegen die Kolonialisten in Bomben verwandelten, die in revolutionären Kämpfen die Grenzen der Militanz überschritten, gegen diejenigen, die die ideologische Linie der Revolution gefährden wollten.“ -Rêber APO.
Der Kampf um die Wahrheit
Şehîd Sema Yüce hat sich für die Theorie der Freien Frau am 21. März 1998 in ihrer Gefängniszelle selbst in Brand gesetzt. „Ich möchte eine Brücke aus Feuer vom 8. März zum 21. März schlagen“. Şehîd Sema hat ihr Leben gegeben für Etwas, dass sie als größer als sich selbst erkannte: Die Linie der Freien Frau. Die Linie der Freiheit geht über das Individuum hinaus. Der Kampf für die Wahrheit erfordert einen Fedaî-Geist und Rêhevaltî, anders kann nicht gesiegt werden. Eine Fedaî-Aktion bedeutet, das Leben mehr zu schätzen und mehr zu lieben als alles Andere und damit das absolute Gegenstück zum Feind zu bieten, dem kein Mittel zu bestialisch ist.
Schauen wir uns ein weiteres Beispiel an: Nach dem Dersîm Genozid 1937/38, bei dem der türkische Staat tausende Frauen verschleppte und tausende Menschen ermordete, wollte das türkische Militär 1996 eine Militärzparade in Dersim abhalten – dies kurz nach einem versuchten, fehlgeschlagenen Mordanschlag auf Rêber APO. Dort, wo der Feind sich mit den Worten „Wir haben die PKK vernichtet“ selbst vom Sieg überzeugen wollte, bewies Şehîd Zîlan mit ihrer Aktion das Gegenteil; vielmehr ließ sie durch ihre Aktion mitten im Faschismus die Hoffnung auf das freie Leben aufblühen.
In ihrem Brief schrieb Şehîd Zîlan, „hätt’ ich mehr als mein Leben geben können, hätte ich es getan.“ Der Fedaî-Geist Şehîd Zîlans hat den Feind bis ins Mark erschüttert, für ihn gibt es keinen tieferen Schock als die tiefe Liebe einer freien Frau zum Leben. Der Fedaî-Geist sprengt jegliche Grenzen dessen, was das System des Todes uns predigt. Es ängstigt den Feind so sehr, dass es nicht einmal im Rahmen seiner Vorstellungskraft liegt. Wenn Heval Zîlan bereit ist für die Freiheit mehr als nur ihr Leben zu geben, sollten wir uns ihren Fragen anschließen: wie groß ist unsere Liebe zum freien Leben? Erkämpfen wir das freie Leben für uns oder für die ganze Gesellschaft? Diese Freundinnen denken nicht eine einzige Sekunde an sich oder daran, sich ein bequemes Leben in einer Hütte getrennt von der Gesellschaft aufzubauen, sondern agieren, um der Gesellschaft den Weg zur Freiheit zu ermöglichen.
Ein Versprechen, welches das freie Leben garantiert
Diesen Jahrhundert-Epos der kurdischen Freiheitsbewegung schrieben am 1. Oktober unsere Genossen Şehîd Erdal Şahîn und Şehîd Rojhat Zîlan weiter. Sie wurden zu einer Bombe im Herzen des Feindes, als dieser jahrelang weiter behauptete: „Wir haben die PKK vernichtet.“ Indem diese Freunde sich dem Weg von Şehîd Zîlan hingeben, lassen sie dem Feind keinen Raum. Es ist das Versprechen, dass dem Faschismus keinen Platz und keinen Sieg gegeben wird, bis das freie Leben garantiert ist. Der Tod des Faschismus ist die Grundvoraussetzung für die Erschaffung des freien Lebens und die Befreiung des Willens. Dieses Ziel erfordert einen unendlich großen Willen für die größte Form der Aktion.
Überall, wo der Faschismus besiegt wird, wird Leben aufblühen. Überall, wo die Wahrheit lebt, wird sich das Universum in ihr spiegeln. Heute kämpfen Tausende auf dem Weg von Şehîd Bêrîtan, Şehîd Zîlan, Şehîd Sema, Şehîd Sara, Şehîd Rûken, Şehîd Erdal und Şehîd Rojhat.
Das Leben verstehen
Unsere wegweisende FreundInnen haben dem faschistischen System und seiner gepredigten Wahrheit den Kampf angesagt. Fedaî zu sein bedeutet, die Wahrheit bis zum Schluss zu verstehen und zu leben – somit das ganze Leben dem Suchen der Wahrheit und dem Kampf für die Wahrheit Rêber APOs zu widmen. Die Hunderten von Freundinnen und Freunden in der kurdischen Freiheitsbewegung, die sich dem Kampf für das Leben hingaben, haben das Leben auf höchstem Niveau verstanden, seinen Sinn entdeckt und es gelebt.
Sie lehren uns: Wenn leben, dann frei leben. Sie lehren uns, dass es wertvoller ist, ein Leben – auch wenn es nur 2 Minuten sind – in seinen freien Zügen zu leben und für das Leben alles zu geben, anstatt ein biologisches Leben zu führen, bei dem man mit 100 Jahren im Sterbebett liegt und merkt, dass man nie wirklich gelebt hat. Deshalb sind sie unsere WegweiserInnen zum freien Leben.
„Als unsere Şehîds ihren letzen Atemzug nahmen, haben sie nicht an den Tod geglaubt. Sie haben das Leben repräsentiert und es geschätzt. Auf dem Weg zum richtigen Leben, haben sie das ihre gegeben.“ – Rêber APO