Ich habe meine Gefühle sprechen lassen…

aus: Mein Ganzes Leben War Ein Kampf;

Letztes Gespräch zwischen Rêber APO und Şehîd Sara an der Mahsum Korkmaz Akademie 1998

Rêber APO: Auf dieser Grundlage wollen wir jetzt mit unserer Europa-Gruppe weitermachen. Sara, kannst du dich kurz vorstellen?

Şehîd Sara: Mein Codename ist Sara. Ich bin 1958 in Dersim geboren. 1975 habe ich die Partei kennengelernt, als sie noch eine ideologische Gruppe war. Vor allem von 1977 bis 1978 habe ich professionell gearbeitet. 1979 bin ich ins Gefängnis gekommen. Nach einem langen Gefängnisaufenthalt wurde ich 1990 entlassen. Danach war ich an der Akademie und anschließend fünf Jahre in den Bergen, überwiegend in Botan und im Süden. Ende 1996 bin ich erneut zur Akademie gekommen. Seit anderthalb Jahren bin ich hier. Eigentlich handelt es sich um eine lange Zeit revolutionärer Arbeit. Ich will sie nicht herabsetzen. Vergleiche ich jedoch diese lange Zeit mit meiner Position in der Partei, ist da eine Unausgeglichenheit, ein Ungleichgewicht. Es gab sogar eine widersprüchliche Haltung. Vor allem in den letzten anderthalb Jahren habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt. Es ging dabei nicht um bestimmte Vorfälle oder Entwicklungen. Vielmehr habe ich mich und mein gesamtes Vorgehen hinterfragt. Ich habe mich auf sehr eigenwillige Weise bewegt. Mein Vorgehen basierte nicht auf einer tragfähigen Ideologie.

Meine Sprache und meine organisatorische Haltung waren kraftlos. Sie entsprachen nicht meiner langjährigen Erfahrung. Es ist keine ausreichend militante Persönlichkeit entstanden. Das war mir in gewissem Ausmaß bewusst, aber vor allem hier stellte sich die brennende Frage, warum ich trotzdem nichts geändert habe. Dieser Zustand war auch für die Partei problematisch. Mein gesamtes Auftreten nahm regelrecht exzentrische Züge an. Meine Persönlichkeit ist sicherlich von unserer Ideologie, der Politik und der Eingebundenheit in die Organisationsstrukturen geformt worden, aber ich hatte gewisse Gewohnheiten, an denen ich beharrlich festgehalten habe. Erst hier ist es mir gelungen, damit zu brechen. Vor allem die letzte Zeit bewerte ich positiv. Ich kann sagen, dass ich die Trotzhaltung überwunden habe, die ansonsten meinen weiteren Werdegang negativ beeinflusst hätte. Ich muss darüber hinwegkommen, die Geschehnisse antagonistisch zu betrachten, die Revolution, die Organisation antagonistisch zu betrachten.

Rêber APO: Bei dir ist der fatale methodische Fehler, emotional zu reagieren und aus deiner Emotionalität heraus politisch zu agieren, geradezu chronisch geworden.

Şehîd Sara: Das ist richtig, Vorsitzender. Ich habe meine Gefühle sprechen lassen…

Rêber APO: Das ist vor allem gefährlich, wenn man glaubt, dass man politisch agiert.

Şehîd Sara: Ich habe mich meistens von meinen Gefühlen leiten lassen, Vorsitzender. Auf diese Weise ließ sich keine konstruktive Politik machen.

Rêber APO: Meiner Meinung nach ist das der ursächliche Hintergrund deiner Fehler. Nicht dein fehlender Mut, eine mangelnde Selbstlosigkeit, ein schwacher Widerstand oder fehlende gute Absichten. Wir müssen die wesentliche Ursache deiner Fehler verstehen und beheben.

Şehîd Sara: Vorsitzender, ich habe dieses Problem wirklich verstanden und für mich entschieden, dass man so nicht leben kann und ich mit dieser Trotzhaltung und Maßlosigkeit nicht leben will. Ein Freund hat ja vor kurzem gesagt, dass es nicht schwer ist, diese Haltung zu überwinden, wenn man wirklich davon überzeugt ist. Ich habe meine Gewohnheiten und es mag Jahre dauern, sie abzulegen, aber diesen Anspruch habe ich auch.

Rêber APO: Wenn du nicht überzeugt bist, läufst du noch weg wie Zekî. Daher solltest du dich überzeugen lassen.

Şehîd Sara: Nein Vorsitzender, bei diesem Thema bin ich…

Rêber APO: Doch, fehlende Überzeugungen bringen dich letztendlich an diesen Punkt.

Şehîd Sara: Zweifellos führt es zu negativen Ergebnissen, bis heute…

Rêber APO: Nein, ich meine damit nicht, dass du genauso bist. Ich meine nur, um ein Beispiel zu nennen, dass es früher oder später kracht, wenn jemand Zustimmung heuchelt.

Şehîd Sara: Vorsitzender, ich habe die Bewertungen der Partei und die Kritik des Parteivorsitzenden bisher sehr wichtig und ernst genommen. Sie waren richtig. Jetzt geht es darum, sie zu verinnerlichen. Ich muss mich in dieser Hinsicht ändern. Dort lag das Problem. Meine Bemühungen und meine Methoden haben nicht übereingestimmt.

Rêber APO: Sie waren gegensätzlich.

Şehîd Sara: Meine Bemühungen sind ins Leere gelaufen.

Rêber APO: Ja.

Şehîd Sara: Obwohl ich es anders wollte.

Rêber APO: Das war aber auch eine sture Trotzhaltung. »Sara macht keine Fehler, Sara denkt immer richtig, verfolgt immer gute Absichten.« In Ordnung, aber Politik ist auch eine Kunst. Sogar bei der PKK ist Politik eine Kunst. Die PKK kann nicht ausschließlich mit großen Gefühlen und großem Widerstand existieren. Ja, deine beharrlichen Gefühlsausbrüche waren natürlich problematisch für uns.

Şehîd Sara: Es war vor allem schwierig, weil es sich ständig wiederholt hat.

Rêber APO: Sehr.

Şehîd Sara: Ich wollte es immer überwinden. Jede Wiederholung hat mich kleiner und schwächer gemacht.

Rêber APO: Natürlich, deine gesamten Bemühungen…

Şehîd Sara: Sie haben meine Moral zerstört.

Rêber APO: … sind ins Leere gelaufen. In den Bergen warst du sehr kratzbürstig. Bei deiner neuen Aufgabe wird das alles berücksichtigt. Vielleicht nimmst du es uns übel und sagst, dass du »entfernt« wirst, denn du gehst mit diesem Thema ziemlich emotional um. Dabei bin ich der Meinung, dass eine Intervention oder ein neues Praxisfeld nötig sind, um deine wirkliche und richtige Art hervorzuholen. Du wirst etwas weiter entfernt, in etwas entspannterer und in etwas überzeugterer Form Politik machen und für die Organisation tätig sein. Es gibt keinen Grund, daran etwas falsch zu verstehen. Das Land steht dir weiter offen. Du hast ja kein Problem damit, ins Land zu gehen. Dieser Niederträchtige war zum Beispiel nicht so. Er war auch dem Land gegenüber nicht aufgeschlossen. Er hat andere Absichten verfolgt und war feige, sogar sehr. Seine ganze Kraft und seinen Mut hat er von dem Heldentum der PKK-Militanz bezogen. Du verfügst über eigene Widerstandskraft. »Warum bin ich nicht im Land« oder »Alle sind dort, nur ich bin hier«, Vorwürfe dieser Art sind nicht angemessen. Für dich ist es eher notwendig zu wissen, wie du deine große Erfahrung in den Dienst der Parteipolitik stellen kannst. Wie du geplant und organisiert vorgehen kannst. Ich befürchte, dass du wieder losgehst und stur darauf beharrst, dass alles nach deinen Wünschen läuft. Das würde auch für dich schwierig werden.

Şehîd Sara: Nein Vorsitzender, dieser Fehler wird mir nicht unterlaufen.

Rêber APO: Ich warne dich, sei du offen für alle. Es müssen nicht alle deinen Wünschen entsprechen.

Şehîd Sara: Das ist richtig, Vorsitzender.

Rêber APO: Wie du siehst, ist der Vorsitzende allen gegenüber offen. Das ist doch sehr deutlich, oder?

Şehîd Sara: Ja.

Rêber APO: Wie konkret.

Şehîd Sara: Es ist deutlich und lehrreich, Vorsitzender. Ich gehe davon aus, dass ich mich in dieser Zeit daran orientieren werde.

Rêber APO: Aber bisher hast du dich ziemlich gegenteilig verhalten, und das in bester Absicht.

Şehîd Sara: Ja.

Rêber APO: So geht es nicht. Einen Menschen aus Kurdistan organisiert man am besten, indem man ihn versteht und sich auf ihn einlässt. Beziehst du dich nur auf deine eigenen Vorstellungen, kannst du keine einzige Person organisieren. Ich sage das für die organisierten Strukturen.

Şehîd Sara: Ja, Vorsitzender, da liegt mein Irrtum.

Rêber APO: Eine Sache voller guter Absichten und guter Gefühle, aber bei den Menschen dieser Gegend funktioniert es nicht. Du solltest mich aufmerksam beobachten und deine Schlüsse aus meinen Methoden ziehen. Sie sind realistisch, oder? Meine Arbeit ist doch sehr konkret und essentiell?

Şehîd Sara: Sie ist sogar konstruktiv.

Rêber APO: Sehr konstruktiv. Der Kern meiner Kritik betrifft die Tatsache, dass du dir diese Art in all den Jahren nicht als grundlegende Methode angeeignet hast. Das sollte nicht falsch verstanden werden.

Şehîd Sara: Das ist der Punkt, an dem ich verloren habe. Es ist der Punkt, an dem ich am allermeisten verloren habe.

Rêber APO: Natürlich. Stell dir vor, alle müssten Saras Erwartungen entsprechen. Nicht alle haben jedoch die Kraft, Sara zu entsprechen. Und nicht alle entsprechen meinen Vorstellungen. Ich befinde mich in einem fürchterlichen Kampf, für alle, oder etwa nicht?

Şehîd Sara: Es ist ein sehr geduldiger Kampf.

Rêber APO: Geduld und die richtige Methode, deswegen ist er konstruktiv. Deiner ist dermaßen amateurhaft, dass selbst die Menschen, die dir am nächsten stehen, dich entweder verlassen oder dich nicht ernst nehmen. Dabei bist du gar nicht so, das hast du nicht verdient, aber deine Methoden führen zu diesem Ergebnis. Meiner Meinung nach solltest du diese schwer subjektive Position, diese emotionsgeladene Situation endlich überwinden.

Şehîd Sara: Das werde ich.

Rêber APO: Es ist keine Schande. Kann Sara mit ihrer zwanzigjährigen Erfahrung so viele Fehler machen? Ja, musst du sagen, kann sie. Sei bescheiden und überwinde dich, dann hast du meiner Meinung nach die Kapazität, die vergangenen Jahre mit deiner Arbeit auszugleichen. Außerdem sage ich auch nicht, dass diese Jahre umsonst waren. Ganz sicher nicht. Meine Kritik betrifft die Frage, warum du nicht noch viel mehr erreicht hast. Es geht nicht darum, dass du schlecht warst oder uns zugrunde gerichtet hast oder in irgendeiner Weise schuldig bist. Wenn du es richtig verstehst, kannst du meiner Ansicht nach deine eigentliche Rolle jetzt viel erfolgreicher spielen.

Şehîd Sara: Vorsitzender, dazu bin ich entschlossen. Das Land ist immer Gegenstand meiner Sehnsucht. Es ist wirklich anziehend. Ich werte aber auch kein anderes Gebiet ab.

Rêber APO: Ich war nie im Land. Du warst fünf Jahre dort. Was soll so ein armer Kerl wie ich dazu sagen?

Şehîd Sara: Nein, ich werte nichts ab. Wo ich der Partei nützlich sein kann…

Rêber APO: Du kannst an diesem Punkt ein gutes Beispiel sein. »Ich bin in Europa oder sonst irgendwo, aber ich trage mein Land in mir«, kannst du sagen. »Alles ist für die GenossInnen und den Kampf im Land«, könnt ihr sagen, und genau das ist auch eure Aufgabe. Oder etwa nicht?

Şehîd Sara: Es ist für mich der Grund, intensiv zu arbeiten, Vorsitzender.

Rêber APO: Ist es nicht tausend Mal mehr wert als das, was du im Land gemacht hast, wenn du fünftausend Menschen für die politische und militärische Arbeit mobilisierst? Gibt es diese Möglichkeit nicht?

Şehîd Sara: Es gibt sie.

Rêber APO: Es gibt sie. Ich weiß hier kein einziges Wort, ich habe keinen Platz in meinem Kopf für die arabische Sprache, aber was man Kurdistan nennt, ist hier erschaffen worden. Auch was man Volk nennt, ist hier erschaffen worden, oder? Das sollten wir ernst nehmen.

Şehîd Sara: Vorsitzender, es ist in gewisser Hinsicht natürlich. Das alles wird für mich der Grund sein, gute Arbeit zu leisten. Auch meine Sehnsucht und meine Wünsche werden mich motivieren.

Rêber APO: Wenn es jetzt so ist, werden Fehler über Fehler gemacht. Ich sage nicht, dass ihr nicht ins Land gehen sollt. Alles dient nur dazu, ins Land gehen zu können. Gibt es heutzutage eine Person, die ihr gesamtes Leben stärker als ich auf das Land ausrichtet?

Şehîd Sara: Nein, Vorsitzender.

Rêber APO: Du kannst die Verbindung mit dem Land über die Organisation und die Bevölkerung aufrechterhalten, und sogar über technische Mittel, oder? Sprich täglich mit Dersim, sprich täglich mit den Menschen in den Großstädten. Organisiere einzelne Gruppen und schicke eine nach der anderen ins Land. Organisiere die Front millionenfach. Ist das etwa unwichtig? Und du kannst kommen, wann immer du willst, mach dir darüber keine Sorgen. Wir stehen zu unserem Wort und die Brücken, die wir bauen, sind stabil. Es war unser Wille, der dich aus dem Kerker von Diyarbakır geholt hat. Das soll jetzt natürlich kein Eigenlob sein.

Şehîd Sara: Nein, Vorsitzender.

Rêber APO: Es war auch unser Wille, der dich ins Land gebracht hat. Auch in Europa lassen wir unser Volk nicht im Stich, auch in dieser Hinsicht reicht unsere Kraft aus, aber dafür braucht man die richtige Methode. Du willst wirklich erfolgreich arbeiten und ich bin davon überzeugt, dass es dir gelingen wird. Man kann sogar sagen, dass du dich glücklich schätzen kannst, diese Zeit zu erleben.

Şehîd Sara: Ich werde dem gerecht werden.

Rêber APO: Gut, reicht dieser Rahmen jetzt aus?

Şehîd Sara: Selbstverständlich.

Rêber APO: Es gibt viele weitere Punkte, aber ich denke, dass wir sie in der Praxis mit dir abarbeiten werden.

Şehîd Sara: Das ist richtig, Vorsitzender. Ich möchte auch gar nicht viel mehr sagen.

Rêber APO: Ja, das macht keinen Sinn. Du hast ja sowieso zwei Bücher geschrieben.

Şehîd Sara: Drei Bücher.

Rêber APO: Drei Bücher sind es geworden. Das vierte werden wir in der Praxis schreiben.

Şehîd Sara: Das werde ich. Ich werde schreiben, wenn ich eine erfolgreiche Praxis vorweisen kann.