Politisierung der Gefühle

– Zeynep Nurhak

Die Wissenschaft, wie wir sie kennen, welche fest in den Händen des Patriarchats steckt, versucht unser Leben, den Menschen und das Universum mit einfachen physikalischen Regeln und Formeln zu erklären. Dabei wird die materielle Welt in den Vordergrund gestellt und die geistliche oder immaterielle Existenz verleugnet oder ganz einfach übersehen. Das sorgt natürlich auf der einen Seite für Probleme in der Analyse der Gegebenheiten und auf der anderen Seite werden wichtige Bestandteile unseres Daseins ignoriert. Welchen Schaden das Ganze verursachen kann, sehen wir anhand der heutigen Welt und der Situation in der wir uns befinden. Doch was ist unsere immaterielle Existenz und was hat das mit den Gefühlen eines jeden Menschen zu tun? Es ist für uns schwierig, mit all den Einflüssen der kapitalistischen Moderne, uns neu zu erforschen und über die Grenzen der modernistischen Wissenschaft hinauszudenken. Wir haben verlernt anders zu denken und zu verstehen. Auch unsere Sprache begrenzt uns dabei, Dinge auszudrücken, die nicht in unsere Normen passen. Doch unsere Gefühle erzählen uns etwas anderes und in der Krise, in der wir uns befinden, sehnen wir uns nach einem anderen Leben. Wir spüren, dass etwas nicht stimmt. Wir sind auf der ständigen Suche nach dem wahren Leben.

Gefühle sind die Magie des Lebens

Gefühle sind das Fundament des Lebens, der Ausdruck unserer Geschichte, unserer Umwelt und des Universums. Es ist die Kommunikation des Universums, welches in uns Leben findet und unsere Handlungen bestimmt. Wenn wir Gefühle auf die einfache Beschreibung unserer Sinne im individuellen Rahmen beschränken, werden wir niemals die Geheimnisse des Lebens entschlüsseln können. Gefühle sind die Magie des Lebens. Wer diese magische Sprache verstehen lernt, sie spricht, wird die Tür zur Freiheit betreten. Doch wer sie vergisst, verleugnet, nicht versteht, wird sich in den Fängen der Sklaverei befinden. Die emotionale Intelligenz ist die Kraft, die das Leben verteidigt und die natürlichen Prozesse im Leben voran führt. Es ist die älteste Form der Intelligenz und das Lebensrad der Natur. Die emotionale Intelligenz fördert natürliche Reflexe, die zur Verteidigung der Lebewesen und zum Einklang des Universums führen. Die Entwicklung der Menschheit und der Gesellschaft hängt stark mit dem kommunalen Leben  zusammen, welches um die Mutter zum Leben erwachte. Der Mensch, dessen größte Verteidigung die Gesellschaft wurde, fühlte die enge Verbindung zu den Menschen, mit denen er/sie lebte. Aus diesem Grund ist unsere tiefste Gefühlswelt an Kommunalität, Nächstenliebe, Moral und Ethik gebunden. Wenn wir uns wieder die Probleme der Menschen in unserer heutigen Welt vor Augen führen, können wir erkennen, dass die Menschen einsam sind und aufgrund der aufgelösten Gesellschaftlichkeit in tiefe Depressionen verfallen. Die natürliche Gefühlswelt des Menschen wurde durch die kapitalistische Moderne und die Tyrannei des Patriarchats in den letzten tausend Jahren zerstört. Die krankhafte Besessenheit von Macht durch die Manipulation von Gefühlen hat den Menschen von seinen eigentlichen Gefühlen losgelöst. Die Herrschenden haben tausende von Jahren die Gefühle der Menschen verstehen gelernt und sie bewusst kontrolliert und manipuliert.

In den Leinen des Kapitalismus

Die Gefühle, die im Matriarchat dem kommunalen Leben und der stärkeren Verbindung zur Natur und zum Universum dienten, liegen heute unbewusst in den Leinen des Kapitalismus. Aus einer Welt, in der die Gefühle eines Individuums 24 Stunden am Tag machtlos dem „Soziale“-Medien- Wahn ausgesetzt sind, wird keine gesunde Gesellschaft hervorgehen. Deshalb sind auch so viele Menschen körperlich und geistlich krank. Viele suchen ihren Ausweg in neuen Lebensphilosophien, Religionen und Praktiken. Dies führt vielleicht bei einigen zu einem besseren mentalen Zustand, doch viele schaffen es nicht aus den Fängen des Individualismus heraus. Denn was bringt mir eine innere Ruhe mit wöchentlichem Yoga, wenn die Welt um mich herum von Zombies besetzt ist? Wir müssen aus der Realität des Kapitalismus entkommen, aber auch die richtigen Methoden kennenlernen, um dem Leben die Schönheit und die Magie wiederzugeben, nach der wir uns sehnen. Wir wissen, dass der Kapitalismus durch den Sieg gegen die emotionale Intelligenz zum Thron gestiegen ist und durch ihre Verleugnung den Menschen zu einem grausamen Kannibalen gemacht hat, der sich selbst und die Natur auffrisst. Das kapitalistische System hat in den letzten hundert Jahren die gesellschaftlichen Manipulationen professionalisiert und es mit dem Liberalismus geschafft, unsere Gefühle auf unsere primitiven Instinkte zu beschränken. Durch die Wissenschaft, die Gefühle nur auf neurozentrische Abläufe beschränkt und Gefühle auf das weibliche Geschlecht reduziert, wurden die klassischen Rollenbilder intensiviert und das patriarchale System tief in der Gesellschaft verankert. Die Beziehungsformen, die daraus entstanden sind und die gesellschaftlichen Normen, haben den Menschen nur noch mehr von freiheitlichen Gefühlen getrennt. Frauen und Gefühle wurden aus der Entscheidungsfindung, aus der Politik vertrieben und die rationale Besessenheit hat uns in Kriege, Kolonialismus und Tod gebracht. Die Spitze dieser Entmenschlichung können wir anhand der übersexualisierten Gesellschaft und der Entfremdung der Liebe ausmachen. Doch wie schaffen wir es aus dem Teufelskreis der Gefühlssklaverei zur Freiheit. Zu wahrhaftigen Gefühlen und zu einer tiefen Liebe, die unsere Welt und uns befreit?

Unsere Gefühle und uns selbst wiederfinden

Wir müssen lernen, unsere Gefühle und uns selbst wiederzufinden. Der Kapitalismus hat uns viel gestohlen. Unsere Geschichte, unsere Identität, unsere Kultur und alle Errungenschaften der kommunalen Gesellschaft. Die Gefühle, die wir kennen, sind meistens an individuelle Bedürfnisse und an unsere Sozialisierung gebunden. Gedanken und Gefühle sind Energieimpulse, die durch unseren Körper fließen. Unsere Gefühle, die gesellschaftlich bedingt sind, sind an klassische Lebensumstände gebunden, da wir uns in einer rückständigen Gesellschaftsform befinden. Doch wenn wir es nicht schaffen, sie los zulassen und aus ihnen zu wachsen, werden sie zu Blockaden und zu einer Last. Das ist der Grund, warum schöne Gefühle kommunal sind, wogegen unschöne individuell. Unsere Gedanken stehen unter ständigem Einfluss des Liberalismus und bringen die Kommunikation durcheinander. Es ist wichtig unsere Gefühle zu organisieren, sie zu politisieren. Gefühle, die unsere individuellen Triebe überschreiten, beflügeln uns und lösen die Blockaden in unserer persönlichen Entwicklung. Wir treffen Entscheidungen und sind meistens in Gefühlen gefangen, die nicht zulassen, dass wir groß denken und handeln. Die Denkmuster der Gesellschaft hindern uns daran, frei zu handeln und freie Gedanken zu fassen. Was uns oftmals an großen Entwicklungen hindert, sind negative, von der Umwelt losgelöste Gefühle, die uns zurück ziehen.  Deshalb ist es wichtig unsere Gefühle zu verstehen, sie zu analysieren und mit ihnen, wenn nötig, zu kämpfen. Der Kampf mit uns selbst ist zwingend notwendig, um die Gefühle aus der Konzentration unserer Person fließen zu lassen. Wenn wir uns unseren Gefühlen machtlos hingeben, ohne sie zu verstehen und zu organisieren, können unsere Gefühle uns in schwierige Situation bringen, oder gar unsere geistige Gesundheit beeinflussen. Sehr oft denken wir, dass unsere Gefühle zu uns gehören und lassen zu, dass Gefühle unser Leben bestimmen. Doch oftmals resultieren diese Gefühle aus einem gedanklichen Chaos, beeinflusst durch psychologische Kriegsführung der kapitalistischen Moderne, oder sind ganz einfach unser Ego. Doch Gefühle sollten uns stärken und einen kommunalen Wert besitzen. Gefühle, die einen der wichtigsten Kommunikationswege des Universums darstellen, sollten der Bereicherung des Lebens dienen und die Welt verschönern. Doch in der kapitalistischen Moderne wird die Verbindung zwischen Mensch und Natur getrennt und vor allem wir Frauen sind von den Schäden betroffen. In einer Welt, in der wir Frauen und die Gefühle, die ein wichtiger Bestandteil des Lebens sind, untergeordnet werden und unsere Eigenschaften und die Verbindung zur Natur unbedeutend aussehen mag, müssen wir von Neuem lernen zu fühlen.

Gefühle die für Veränderung sorgen, stärken

Wir sollten lernen, zuerst unsere Gefühle neu zu ordnen, unsere Umwelt zu fühlen und eine neue Verbindung zur Natur zu erschaffen. Diese Gefühle werden wir nicht in den Zentren der kapitalistischen Weltordnung entwickeln. Die Städte und die Machtzentren, in denen wir uns befinden, sind mechanisch und kalt. Sie sind das Ebenbild des Patriarchats und blockieren natürliche und gesellschaftliche Gefühle. Es ist von großer Bedeutung, auf eine gesellschaftliche Lösung anstatt einer individuellen zu setzen. Gemeinsam zu kämpfen und die Angriffe des Staatssystems auf unsere Gefühle zu erkennen. Es ist von großer Bedeutung, Räume und Alternativen zu schaffen, in der die Menschen Gesellschaftlichkeit schützen und fördern. Es ist von großer Bedeutung, unsere Identität als Frau zu finden und zu verstehen, dass diese Weltordnung uns krank macht und unnatürlich ist. Wir brauchen die Natur, um zu leben, um zu spüren, um zu verstehen. Wir brauchen eine Reflexion mit uns selbst, um die negativen Gefühle, die aus individuellen Trieben hervorgehen, zu überwinden.

Genauso ist es wichtig, kommunale Werte und gesellschaftliche Normen zu schützen und die in Verbindung stehenden Gefühle zu stärken. Deshalb ist es unsere revolutionäre Pflicht, die Gefühle, die für Veränderung sorgen und die uns in unserem Kampf stärken, lebendig zu halten und zu verbreiten. Wir müssen anfangen, mehr an andere zu denken und weniger an uns selbst. Gefühle sind immer kommunal und gesellschaftlich. Deshalb ist es wichtig, sie richtig zu kommunizieren. Da wir verlernt haben über Gefühle zu kommunizieren, sind ein zwischenmenschlicher Austausch und Empathie wichtig. Wir müssen lernen, wieder unsere Gedanken und unsere Gefühle in Einklang zu bringen. Hierbei ist die Frau bei der Entwicklung und der Veränderung der Gesellschaft essenziell. Aufgrund ihrer Nähe zur Natur und zur emotionalen Intelligenz, müssen Frauen stärker auf ihre Intuition hören und ihre Vorreiterrolle in der gesellschaftlichen Veränderung einnehmen. Deshalb werden Frauen die Revolution des 21. Jahrhunderts führen und zum Erfolg tragen.